Das ist mal ein Rot (2)

Die Autorin Juditha Lehmkuhl, Studentin des Studiengangs Kreatives Schreiben an der SOPA, stellt die Fortsetzung ihrer Kurzgeschichte Das ist mal ein Rot vor.

Arbeitsstress zufolge – er war Banker – vergingen zwei Wochen, bis sie sich wiedersahen. Sie waren in einem Café verabredet. Den Lippenstift hatte Sandra weggelassen und nur den Rest geschminkt. Zur Begrüßung küsste er sie auf den Mund und flüsterte ihr etwas ins Ohr, von dem sie den Hintergrundgeräuschen geschuldet nicht alles verstand, was aber die Worte „Natürliche Schönheit“ beinhaltete. Selig lächelnd bestellte sie kurz darauf einen Latte Macchiato. 

Als sie ein paar Stunden später nackt und verschwitzt in seinem Bett lagen, er ausgelaugt vom Orgasmus, sie überanstrengt von ihren Bemühungen, ihn zum Höhepunkt zu bringen, sagte er, das sei zwar viel zu früh, aber er glaubte, er liebe sie. 

Erneut vergingen ein paar Wochen, bis sie sich wiedersahen, diesmal Sandras Unistress geschuldet. Er wolle sie unbedingt sehen, schrieb er ihr. Sie habe aber nicht viel Zeit. Das sei ihm egal.

Sie trafen sich im selben Café wie letztes Mal. Sie trug, was sie beim Festival getragen hatte, um ihn zu überraschen. Und weil es ihr leidtat, dass sie so lange keine Zeit für ihn gehabt hatte. Als er seine Hand unter dem Tisch auf ihren Oberschenkel legte, stockte er. Ihr Bein war übersät mit kurzen Stoppeln. Sie fühle sich ja an wie ein Bär, meinte er. Sandra trank ihren Milchkaffee aus, sagte, sie müsse jetzt leider wieder an ihren Schreibtisch und er hielt sie nicht auf. Noch am selben Abend rasierte sie sich. 

Von da an nahm ihre Beziehung Fahrt auf. Sie sahen sich alle paar Tage und ihre Treffen endeten in seinem Bett. Inzwischen dachte sie während des Geschlechtsakts an den Sex mit einer Ex-Freundin und manchmal kam sie sogar. Er machte ihr weiterhin Komplimente für ihre Natürlichkeit, sie zog gar nicht erst in Erwägung, ihre Intimbehaarung wachsen zu lassen; eine perfekt aufeinander abgestimmte Symbiose.

In der Nacht, in der Sandra ihre Bachelorarbeit abgab, kam er sie noch besuchen. Sie war in letzter Minute fertig geworden. Als er an der Tür klingelte und sie ihm öffnete, zog er besorgt die Augenbrauen zusammen. Ob sie krank sei?

Ein wenig, log Sandra. Ob sie noch raus gehen wollten? In den Park, frische Luft schnappen. Er stimmte zu, sie zog sich an und sie gingen raus. Laternen leuchteten den Park aus, aber nicht so gut, als dass man in deren Licht die Feinheiten ihres ungeschminkten Gesichts hätte erkennen können. Irgendwann kam ihnen eine Gruppe Jugendlicher entgegen. Die Hand des einen Mädchens lag auf dem Po eines anderen Mädchens.

Sandra nickte ihnen lächelnd zu. Ihr Banker spuckte vor dem Pärchen auf den Boden. „Ekelhaft“, zischte er. „Das! Gegen die Natur. Schämt ihr euch denn nicht?“ 

Sandra wollte seine Hand loslassen, doch er klammerte sich daran fest. Man hätte beinahe auf den Gedanken kommen können, er wäre doch nicht so mutig, wie er meinte zu sein. 

Das lesbische Pärchen ging weiter. Ausflippen taten dessen Freunde.

Sandra zog an ihrer Hand und konnte sie schließlich aus der des Bankers befreien. Dann haute ein Mädchen ihm auch schon eine rein. Blut lief aus seiner Nase. „Oha, das ist mal ein Rot“, sagte das Mädchen, schlug ein zweites Mal zu und die Gruppe Jugendlicher setzte sich in Bewegung, als sei nichts Nennenswertes geschehen. 

Der Banker taumelte und fiel zu Boden. Rücklings lag er da. Sandra blickte auf ihn hinab. „Du willst es natürlich? Hier hast du dein natürlich“, sagte sie, zerrte sich die Hose runter, hockte sich über ihn und pisste ihm ins Gesicht.

Autorin: Juditha Lehmkuhl studiert Kreatives Schreiben und Texten an der SOPA (Berlin School of Popular Arts).

Titelbild von Tünde auf Pixabay

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