Laura, ich liebe dich

Liebe Laura, es fühlt sich jedes Mal merkwürdig an, dich zu besuchen. Auch wenn, oder gerade weil, es mir inzwischen besser geht, wollte ich mit dir sprechen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie seltsam es sich anfühlt mit dir zu reden, während ich vor einem Grabstein stehe. Ich rede mit einem Stück Stein, worüber du sicher herzlich gelacht hättest, mich geneckt und damit aufgezogen. Dann hättest du die Tränen in meinen Augen bemerkt, wärst plötzlich doch ernst gewesen und hättest mir Gesellschaft geleistet. Aber das geht nicht. Man kommt ja auch nicht zu seiner eigenen Beerdigung.


Die war im Übrigen sehr schön. Das wollte ich dir auch noch gesagt haben. Zugegeben, einige deiner älteren Verwandten waren wirklich irritiert. Aber genau für diese Blicke hast du dir den ganzen Quatsch, wie die Clowns als Sargträger, die zu ‚staying alive‘ eintreten, ja gewünscht.


Ich habe mir oft gewünscht, dass du manche Dinge etwas ernster nehmen könntest. Ich weiß, immer wenn es darauf ankam, konnte ich mich auf dich verlassen. Keine Sorge, ich habe die zwei Jahre Arbeitslosigkeit und deine Rolle in meiner Genesung nicht vergessen. Oder deine Besuche in meinem Krankenhauszimmer. Jedes Mal, wenn es wichtig war, hast du freche Sprüche gerissen. Trotzdem habe ich das an dir, und deswegen dich, geliebt, weißt du?


In jeder anderen Beziehung wäre es komisch, dass ich dir dies anvertraue, nachdem du schon von uns gegangen bist. Aber, ein “Ich liebe dich” kam mir nie über die Lippen, und das obwohl wir ganze 15 Jahre verheiratet waren. Dir im Übrigen auch nicht, nur damit du mir von der anderen Seite keine Vorwürfe machen kannst.


Wir beide wissen, und wussten, dass diese Ehe nur ein Alibi war. Aber umso mehr ich auf unsere Zeit zurückblicke, desto schöner wird die Erinnerung. Vielleicht lässt das nach, irgendwann. Aber irgendwie glaube ich das nicht. Weil mich dein Tod verändert hat, liebste Laura. Er hat mich melancholisch werden lassen. Und mutig.


Du warst immer die Starke von uns beiden. Gott weiß, woher du die Kraft dafür genommen hast, immer für uns alle da zu sein. Für mich, Dominik und die Kinder. Hattest du überhaupt noch genug Kraft für dich selbst?


Ich weiß, du hast immer gesagt, wir seien dir ein Segen und das Liebste auf der Welt. Aber wir sind auch keine leichte Familie.


Ich habe mich oft gefragt, ob du nicht viel besser dran gewesen wärst, mich nicht zu heiraten, deinen eigenen Weg zu gehen. Mit einem netten Mann, einem der dich auch sexuell attraktiv findet, mit dem du dann ein Haus bauend, ganz klischeehaft aufs Land gezogen wärst. Du hast dich zwar lustig gemacht, über die abgeschiedenen Landeier und die romantischen Träumereien, aber insgeheim fandest du die Idee gar nicht so schlimm, nicht wahr? Das hat man dir angesehen, an so manchen Abenden, nach dem dritten Rotwein, wenn du aus dem Fenster starrtest, als wäre dort draußen irgendetwas, wohin es dich zieht.


Du hättest mir die Ohren lang gezogen, wenn du das gehört hättest. Aber jetzt wo du tot bist, kannst du mir ja nichts mehr. Keine frechen Sprüche, keine harten Knuffe und kein Blick, der mich so sehr beeindruckt, dass es mir Angst macht. Dein Tod hat mich mutig genug gemacht, dir das ins Gesicht zu sagen.


Laura, ich habe Angst, dir dein Leben gestohlen zu haben. Ganz gleich wie oft du beteuertest, dass wir das Beste seien, was dir hätte passieren können. Trotzdem werde ich den Gedanken nicht los.


Inzwischen ist es in unserem Land ja endlich erlaubt, dass zwei Männer heiraten. Wir sind noch nicht ganz in der Normalität, aber auf alles, bis hier hin, bin ich so stolz. Und meine Eltern, tja. Die müssten heute einfach damit leben, oder aus meinem Leben verschwinden. Denn es ist meines. Nicht das ihrer sturköpfigen Werte. Wäre ich nur schon damals so stark gewesen, ihnen das ins Gesicht zu sagen. Aber das war ich nicht. Erst seit dem du in mein Leben getreten bist, und mir zeigtest, dass ich ganz normal, gut so und genügend bin. So viel gutes mir Dominik auch getan hat, hätten wir ohne dich niemals die Ruhe und das Glück und den Frieden gefunden, wir selbst zu sein.


Bei jedem Besuch meiner Eltern konnte ich es nicht fassen, wie souverän du sie um den Finger gewickelt hast. Dominik sei ja ein Freund und Mitbewohner, und wir wären ja glücklich zusammen, und Kinder, warum nicht? Du warst so gut in der Rolle meiner Frau, dass ich es manchmal fast selbst geglaubt habe.


Ich weiß auch, dass es Dominik manchmal gekränkt hat. Mir hat es jedes Mal einen Stich versetzt, diese Lüge auszusprechen. Auch das ist etwas, was ich heute anders tun würde. Heute würde ich mich nicht mehr innerlich schämen, dich als meine Frau vorzustellen, denn das warst du. Über all die Jahre. Mehr als nur ein Alibi. Warst der Segen über unserem Leben, unsere sichere Zuflucht, unser starker Arm. Unsere Mutter Theresa. Und auch das kann ich nur sagen, weil ich deine Reaktion nicht mehr fürchten muss. Was hättest du mich für einen solchen Dankesschauer gescholten.


Das war die eine Sache, in der du nie gut warst, liebste Laura. Abgesehen vom Siedler spielen. Du konntest keine Komplimente annehmen. Hast sie, wie so vieles, immer mit einem Witz abgetan, oder dich schrecklich aufgeführt.
Vielleicht hast du dort, wo du jetzt bist, ja etwas mehr Ruhe, und nicht so viel Scham. So dass du mir ruhig und aufrichtig zuhören kannst, wenn ich dir das Folgende, ein letztes Mal, sagen will.


Laura, ich liebe dich. Aus vollem Herzen. So, wie Dominik und die Kinder es auch tun. Und wir vermissen dich schrecklich. Aber durch dich, sind wir so stark geworden, dass wir es auch ohne dich schaffen können. Wir sind eine Familie geworden.
Siehst du sie da hinten kommen? Auch wenn du das nicht wolltest, ich habe ihnen gesagt, dass wir ‚Mama‘ besuchen fahren. Du wirst damit klar kommen müssen, dass sie dich so nennen. Wir sind eine Familie, und du, gehörst dazu. Pass weiter auf uns auf, ja?

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