Mit hoch gerecktem Kinn, geschwellter Brust und einem Blick, der Autorität ausstrahlt, betrete ich die Bühne. Eine Augenbraue hochgerissen, besehe ich mir kritisch mein Publikum, um dann, mit dem Tonfall einer Maus mit Angststörung zu sagen: “Hallo.”
Kurze Pause, um den Überraschungsmoment wirken zu lassen. Gefolgt von einem: “Ich weiß, was ihr jetzt denkt. [Dramtische Pause] Verdammt – sieht der gut aus. Aber lasst das nicht in die Wertung einfließen. Das wäre unfair.”
Das ist meine Routine. Mein Einstieg auf die Bühne. Das ist, wer ich dort oben sein will.
Hi. Ich bin Johann-Paul, oder auch “Yo-Pa”, wenn man meiner Maske einen Namen geben will. Und ich stehe auf Bühnen. Regelmäßig. Mit Dingen, die aus meiner eigenen Feder stammen, die eigentlich nur ein alter Laptop ist, aber das klingt nicht so edel, und die nur dafür da sind, Publikum zu begeistern.
Ich bin einer dieser Menschen, die Poetry Slam betreiben, seit fast 10 Jahren jetzt schon, und ich habe ein Geheimnis. Eines, von dem ich nicht mehr möchte, dass es eines ist. Vielleicht ein offenes Geheimnis. Man weiß es besser, aber kann sich darauf einlassen.
Es ist: Ich trage eine Maske. Auf der Bühne. Nicht im wörtlichen Sinne, das wäre eine Requisite, und Requisiten sind nach den Regeln des Poetry Slam verboten. Eine metaphorische. Ich bin auf der Bühne nicht ich selbst. Ich bin das, was ihr sehen sollt, damit der Text, den ich vortrage, so gut wie möglich funktioniert.
Ist das noch echt?
Als ich angefangen habe, hätte ich mein heutiges Ich verabscheut. Alles musste authentisch sein. Echt. Roh. Denn schließlich ist das ja Kunst, die dort oben passiert. Und Kunst muss von Herzen kommen, sonst ist sie nichts wert.
Heute ziehe ich mir vor einem Auftritt ein Hemd an, mache mich schick, und schlüpfe in eine Rolle, die so ganz und gar nicht Ich ist. Jedes Wort, jede Bewegung, jede Reaktion ist einstudiert. Es ist ein Akt, ein Stück, eine Show, die im Scheinwerferlicht lebendig wird.
Aber … ist das verwerflich?
Was hat sich verändert?
Mein Verständnis von Kunst? Vielleicht ein bisschen.
Mein Wunsch nach Authentizität? Kein bisschen.
Nicht Leon, aber Profi
Es ist recht einfach. Ich bin besser geworden. Darin zu schreiben und darin, mich selbst zu präsentieren. Wenn du ein tolles neues Spielzeug bekommst, dann probierst du es auch aus.
In meinem Fall war das Spielzeug eine Maske. Und mit ihr eine Abgrenzung, die ich nie für möglich gehalten hätte.
Es gibt die verschiedensten Masken, sozusagen eine für jede Gelegenheit. Und im Alltag ist es ganz normal, dass wir für all diese Gelegenheiten verschiedene Gesichter aufsetzen. Eins für den Boss, eins für die besten Freunde, eins fürs Amt, eines für die Supermarktschlange. Und eben eins für die Bühne.
Hier schlüpfe ich in eine Person, die mehr ist als ich selbst.
Kein Snickers der Welt, hilft dir, von der Bühne herunter zu kommen
Umso mehr Menschen ich auf und hinter der Bühne kennen gelernt habe, desto mehr konnte ich den Grund verstehen. Den Wunsch und die Notwendigkeit sich abzugrenzen. Sich eine Maske anzufertigen, die man aufsetzt, wenn es da hinauf geht, und die man danach einfach wieder ablegen kann.
Ein wichtiger Grund ist, natürlich, die Ablehnung. Wenn ich auf eine Bühne gehe und das mache, hinter dem ich stehe, was mir wichtig ist und in das ich literweise Herzblut gesteckt habe, dann tut es umso mehr weh, wenn es Leuten nicht gefällt.
Natürlich gewöhnt man sich daran, lernt mit Ablehnung umzugehen. Aber eben nie ganz.
Wenn ich aber, nach dem Auftritt, einfach meine Maske ablegen kann, dann gilt all das nicht mir. Sondern dem Werk und der Kunstfigur, die ich erschaffen habe. Das klingt nicht nach viel, aber bedeutet alles, wenn man am Boden ist.
Wenn jemand mich kritisiert, dafür wer und wie ich bin, dann trifft mich das auf einer ganz anderen Ebene, als wenn jemand das kritisiert, was ich erschaffen habe.
Wenn Leuten nicht gefällt was ich mache, kann ich es verändern. Mit mir selbst ist das schwerer. Das ist der einfache Kern dahinter. Ein Werk ist mir vielleicht wichtig, aber eben immer noch ein Produkt. Etwas, das ich erschaffen habe. Ich kann es jederzeit anpassen, verändern, niederreißen, oder zehn neue erschaffen. Es ist leicht veränderbar, und ich kann viele davon haben, so dass für jede/n was dabei ist.
Ich bin auch nur Stan Lee
Und betrachten wir mal die positiven Seiten. Der beste Film der Welt wäre langweilig ohne eine spannende Hauptfigur. Vielleicht noch eine atmosphärische Erzählstimme, und ein perfekt getimtes Crescendo der Gefühle am Ende.
All das ermöglicht mir meine Maske. Weil ich angefangen habe, meinen Text als mehr zu sehen, als nur … naja einen Text eben.
Wenn ich ins Theater gehe, dann höre ich nicht einfach nur den Text, sondern erlebe ein Zusammenspiel von Licht, Ton, Musik, Bühne, Schauspiel und so viel mehr. Auf einer Slam-Bühne hat man diesen Luxus nicht. Man muss mit dem arbeiten, was man hat. Also dem Text und sich selbst. Wenn ich mich selbst also als Schauspieler eines Stücks begreife, dann ist es, finde ich, auf einmal gar nicht mehr so verkehrt, in eine Rolle zu schlüpfen. Jemand anderes zu sein, um ganz im Stück aufzugehen.
Und das ist für mich der wichtigste Punkt:
Ich spiele ein Stück, das ich selbst geschrieben habe. BIN die Hauptrolle dessen, was ich mir ausgedacht habe. Packe so viel wie möglich von mirin mich. Mehr authentisch geht doch gar nicht.
Akt 3
Ist es also falsch, sich für die Bühne zu verstellen?
Ein eindeutiges Jein.
Das hängt nun mal davon ab, was DU dort oben machen und erreichen möchtest.
Eine Rolle, eine Maske, muss nichts Schlimmes oder in die Irre führendes sein. Du bist kein schlechter Mensch, weil du während deines Auftritts eine trägst.
Genauso wenig, wie man nur gute Kunst hinter einer Maske machen kann.
Letztendlich hängt es davon ab, was du willst.
Muss der Berg zum Propheten, oder zieht der Prophet so lange umher, bis er den richtigen Berg gefunden hat?
Ja, dieser Satz hat etwas Biblisches. Das kann man so stehen lassen.
Bonuspunkte – Masken zum Selber basteln
Weil es manchmal schwer ist, sich abzugrenzen von einer Welt voller Scheinwerfer und Menschenmassen, habe ich hier noch ein paar einfache Tricks, um die Linie, im eigenen Kopf, etwas deutlicher zu ziehen.
1. Alkohol
Der leidigste, aber leider am schnellsten wirksame Weg, sich abzugrenzen. Ich möchte niemanden zum Trinken zwingen, keinen Alkoholismus anstacheln, oder vermitteln, dass es gut ist, betrunken zu sein. Aber es ist nun einmal so, dass Alkohol einen verändert. Er lässt die Hemmschwellen sinken, deswegen betrinkt man sich auf einer Party, auf der man sich nicht traut, die süße Person da hinten anzusprechen, weil wer weiß, was alles schiefgehen könnte. Alkohol lässt dich Warnsignale ausblenden, die dich davon abhalten, aus dir herauszukommen. Mehr als du es vielleicht nüchtern könntest. Du wirst, sozusagen, mehr als du selbst. Offener. Lebendiger. Und für einen kurzen, krassen Effekt, kann das unglaublich nützlich sein.
Nur als Wort der Warnung: Es gibt immer ein Zuviel. Hemmungen abzubauen hilft dir, selbstbewusster rüberzukommen. Aber zu wenige Hemmungen lassen dich um drei Uhr morgens zu mexikanischer Musik splitterfasernackt auf einem zugefrorenen See Polka tanzen. Also im übertragenen Sinne.
Hemmungen haben ihre Gründe, und wenn du keine Kontrolle darüber hast, wie viele du davon ablegst, und wann, dann ist Alkohol keine Methode für dich.
2. Klamotten
Die tatsächliche, physische Maske. Hier kommt vermutlich zum ersten Mal die Frage, ob das dann noch authentisch sein kann. Und die Antwort ist: ja, natürlich. Nur weil ich z. B. mein bestes Hemd heraushole, bin ich ja nicht plötzlich nicht mehr ich selbst. Es ist ja immer noch mein Hemd, das ich für den einen oder anderen Anlass schon anhatte. Ich verbinde es vielleicht mit einem sehr formellen Erlebnis, und das ist hierfür super.
Fakt ist: Kleidung verändert, wie andere dich wahrnehmen. So oberflächlich sind wir nun mal alle. Und die Art der Kleidung beeinflusst auch, WIE du wahrgenommen wirst. Also, warum das nicht zu deinem Vorteil einsetzen?
Hier möchte ich auch das Thema Make-Up erwähnen, wofür das gleiche Prinzip gilt. Sogar noch wortwörtlicher. Die Art der Maske verändert, wie Menschen dich wahrnehmen, also nimm dir die Wirkung, die du brauchst. Und die Person, die du auf der Bühne warst, ist im Anschluss dann schnell weggewischt.
Make-Up verändert nicht, wer du bist, sondern holt Neues aus dir heraus. Es beschneidet nicht deine Persönlichkeit, sondern erweitert sie.
3. Übung
Die mit Sicherheit langweiligste Antwort. Wie so oft. Aber gleichzeitig die Effektivste. Was es zu verstehen gilt, ist der schlichte Fakt, dass etwas Neues nicht beim ersten Versuch funktionieren wird. Abgebrühtheit kommt nicht über Nacht, sondern in vielen Nächten, in denen man immer und immer wieder mit sich kämpft, und immer und immer weiter ausprobiert. Manche Dinge muss man sich selbst ständig einreden, damit man sie glaubt. Das ist hier nicht anders. Aber, um dich zu beruhigen, es wird leichter mit der Zeit.
Niemand wird perfekt geboren. Aber wir alle können wachsen.
Such dir Vorbilder, probiere so viel aus wie möglich, und wenn du dich dort oben, im Scheinwerferlicht, wohlfühlst, dann lass dich nicht unterkriegen !