Die Autorin Janina Bernstein, Studentin des Studiengangs Kreatives Schreiben an der SOPA (Berlin School of Popular Arts) stellt ihre Kurzgeschichte Kontrollverlust vor.
Noch bevor ich die Augen aufmache, fühle ich es. Schmerz. Rieche ich es. Desinfektionsmittel. Der Geruch steigt mir unweigerlich in die Nase. Setzt sich fest und nistet sich in meinen Schleimhäuten ein. Ich merke, wie mir die Galle hochkommt, doch ich bin zu schwach, um mich aufzusetzen. Mit einem Schlag reiße ich die Augen auf und schaffe es gerade noch meinen Kopf zur Seite zu drehen, bevor ich mich übergebe.
Ich höre, wie mein Mageninhalt auf dem Linoleumboden aufklatscht und dort verweilt. Neben dem Geruch des Desinfektionsmittels steigt mir nun auch noch der meines eigenen Erbrochenen in die Nase. Es kommt mir erneut hoch. Um mich zu beruhigen, atme ich durch den Mund. Ich will mich nicht mehr übergeben, kann mich nicht mehr übergeben. Mein Hals tut weh und mein Mund schmeckt abscheulich.
Atme, sage ich mir immer wieder selbst im Geiste vor. Atme. Ich schließe die Lider. Versuche, mich zu konzentrieren, auf mich selbst. Die Decke wurde über mich gelegt, bis zu meiner Brust hochgezogen. Ich spüre meine Finger und Arme. Sie ruhen links und rechts von meinem Körper. Als ich probiere, sie zu bewegen, durchfährt mich ein stechender Schmerz im rechten Handgelenk. Die Nadel der Infusion bohrt sich in mein Fleisch. Pikst in die Ader und macht das umliegende Gewebe kaputt. Okay, das gibt mir schon einmal Aufschluss darüber, wo ich bin.
Na, was hast du denn gedacht? Dass du in einem Fünf-Sterne-Hotel bist?, höhnt meine innere Stimme. Ich gebe mein Bestes, sie zu ignorieren, weiß aber, dass sie eigentlich Recht hat.
Na, was habe ich mir gedacht? Dass ich mal nicht im Krankenhaus sein würde! Dass mal alles gut sein würde! Dass … Meine innere Stimme schüttelt traurig den Kopf über mich. Ja, ich wusste es besser, aber ich hatte gehofft, dass es nicht so sein würde. Hatte diesen verrückten kleinen Funken Hoffnung, dass ich dieses Mal nicht hier landen würde. Aber wieso hätte es dieses Mal anders sein sollen?
Ich seufze, öffne die Augen und starre an die Decke. An diese hässliche weiße Krankenhausdecke, die mit Sprenkeln und Spritzern übersät ist. Es sieht so aus, als hätten Blut und andere Flüssigkeiten gegeneinander gekämpft. Ich schließe wieder die Augen. Will mir nicht ausmalen, wie das alles dahin gekommen ist. Ich versuche wieder bewusst zu atmen und erkunde weiter meinen Körper. Meine Beine fühlen sich träge an. Meine Füße spüre ich gar nicht richtig, kann sie aber bewegen. Es scheint so, als sei ich gesund. Aber es scheint nur so.
Was würde ich sonst hier machen? Im Krankenhaus? Irgendetwas muss doch vorgefallen sein. Nur was? Ich durchforste mein Gehirn nach Antworten, stoße aber nur auf eine Nebelwand. Ich drehe den Kopf, öffne meine Lider und scanne die Umgebung. Rechts von mir steht der Infusionsständer. Mein Blick bleibt am Schlauch hängen und verfolgt diesen, bis zur Flaschenöffnung, zurück. Was geben sie mir da? Ich probiere mich aufzusetzen, doch ich falle zurück in das Kissen. Mein Körper ist zu schwach, die Infusionsnadel schmerzt und mein Kopf schwindelt sofort. Wieder schließe ich die Augen, versuche, mich zu beruhigen. Alles dreht sich. Augenblicklich bemerke ich, wie mir der Schweiß aus der Stirn tritt und sich auch an anderen Stellen festsetzt, an denen meine Klamotten eng am Körper anliegen. Mir wird heiß und das Gefühl, jede Sekunde ohnmächtig zu werden, überkommt mich. Ich merke, wie mir langsam die Kontrolle über mich und meinen Körper entgleitet.
Schon wieder.
Nach Luft japsend versuche ich die Decke weg zu strampeln, aber meine Beine sind einfach zu schwer. Mein Atem rauscht in meinen Ohren. Ein unaufhörliches Fiepen mischt sich unter das anschwellende Rauschen und droht mein Gehör zu beeinträchtigen. Panisch reiße ich die Augen wieder auf und suche nach Halt. Doch da ist nichts und niemand. Hier sind nur mein Bett, der Infusionsständer, ich und mein Erbrochenes auf dem Boden. Das ist zu viel!
Warum ist hier niemand? Warum bin ich alleine? Erneut. Mein Körper fährt alle seine Systeme runter. Mir wird schwarz vor Augen, dann verliere ich das Bewusstsein. Erneut, geht es mir durch den Kopf. Ich verliere mein Bewusstsein erneut. Verliere erneut die Kontrolle über meinen Körper und drifte in eine Welt ab, die ich nicht beeinflussen kann. Erneut. Alles geschieht erneut.
Autorin: Janina Bernstein studiert Kreatives Schreiben und Texten in Berlin an der SOPA (Berlin School of Popular Arts)
Titelbild from @taylorleopold by unsplash