Unheimlich ruhig um mich herum. Kein Lärm, keine Musik, keine Stimmen. Alles ist auf einmal ausgeschaltet. Stumm gestellt. Still. Ich glaube, ich hab vergessen, wie das ist. Wie es ist, allein zu sein. Habe verlernt, nur mich selbst zu hören. Da ist niemand neben mir, niemand, der mich von meinen Gedanken ablenkt.
Gestern habe ich so laut geschrien, dass mich der Ozean gehört hat. Er hat nicht geantwortet und ich habe mich noch kleiner gefühlt als zuvor. Heute habe ich versucht, dich anzurufen. Aber ich will dich nicht nerven, dein Leben nicht durcheinanderbringen. Nicht, dass ich dazu die Chance hätte. Nicht, dass ich wirklich etwas ändern würde. Aber ich habe Angst, dass du denkst, ich würde das wollen. Dabei wollte ich einfach nur deine Stimme hören. Dir von all dem hier erzählen und einfach wissen, dass du zuhörst. Aber ich habe es nicht getan. Hab versucht, die Stille auszuhalten und bin kläglich gescheitert. Jetzt sitze ich wieder hier.
Der Himmel genauso blau und leer wie gestern.
Die Welt noch genauso schnell und ich noch genauso alleine.
Ich weiß nicht, was es ist. Ob es die länger werdenden Tage sind oder doch der Regen. Ich weiß nicht, ob morgen alles wieder gut ist. Ich weiß nur, dass ich dich gerade wieder nicht anrufen kann. Vielleicht reden wir ja morgen. Und vielleicht gehst du ran. Und wir fliegen in unseren Gedanken weg. Ich weiß auch schon wohin. Weg vom Alleinsein. Du musst einfach mitkommen. Sonst funktioniert es nicht. Geh einfach ran und lenk mich ab. Gib mir eine Möglichkeit, nicht zuhören zu müssen. Den Lärm in meinem Kopf zu ignorieren. Halt mich, sei da und dann suchen wir den Ozean zusammen. Wir fahren hin oder steigen in einen Flieger. Und wenn wir da sind, schreien wir ihn an. Machen ihn fertig, schmeißen Steine nach ihm und stürzen uns auf ihn. Wir verzeihen ihm nicht. Lassen ihm nichts durchgehen. Sind steinhart und unerbittlich mit ihm. Geben ihm all die Schuld. An allem.
Weil er zu groß ist und wir uns zu klein fühlen.
Weil er nicht antwortet, wenn man nach ihm ruft, weil er uns auffrisst, uns kaputt macht.
Weil er all das tut, ohne uns zu kennen.
Aber das wird sich ändern. Zusammen sind wir stark genug. Groß genug. Haben keine Angst mehr. Tauchen ab, laufen weg, sind endlich da und verstecken uns nicht mehr. Wir klauen dem Ozean die Sonne, denn die haben wir nötiger als er.
Wir nehmen all seine Geheimnisse weg und tragen sie in die Welt hinaus.
Und wenn er dann nichts mehr hat, gehen wir schwimmen. Atmen unter Wasser. Schweben zwischen Küste und Horizont. Lassen uns selbst und alles andere endlich fallen. Aber ich ruf dich nicht an. Kann mir kein Ticket zum Ozean leisten. Sitze hier nur und habe Angst aufzustehen, weil ich nicht weiß, wo ich als nächstes hingehen soll. Habe hier nur Stille um mich herum und die schreit mich an. Macht mich klein. Macht mich fertig und wirft Steine nach mir. Sie trifft zwar nicht, aber dafür liegen die Steine jetzt auf meinem Weg. Vielleicht versuche ich es morgen noch mal. Also das mit dem Anrufen. Vielleicht morgen. Oder übermorgen. Oder überübermorgen. Oder den Tag danach. Aber vielleicht ist dann auch alles wieder gut. Vielleicht bin ich schon dann schon wieder groß genug.
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