Der Fahrlehrer ist aktiv lässig. Sein graues T-Shirt spannt über seinem prallen Bauch, während er rauchend auf dem Parkplatz steht und auf sein nächstes Opfer wartet. Mit der Klamottenwahl hatte er noch nie ein Problem, er ist pragmatisch und greift daher einfach jeden Morgen zur Gemütlichkeit. Daraus entsteht dann die immer gleiche Kombination aus Jeans und einfarbigem T-Shirt. An manchen Tagen prangt auf Letzterem noch der breite Schriftzug irgendeiner Metal-Band.
Sobald er im Auto sitzt, greift der Fahrlehrer zu seiner 1,5-Liter-Colaflasche, die abwechselnd mit den zahlreichen Coffee-to-go-Bechern von der Tanke für seine tägliche Flüssigkeitszufuhr sorgt. Fällt diesbezüglich der Begriff „ungesund“, schnaubt er nur verächtlich. Er weiß es schließlich besser und erklärt sich gerne dazu bereit, sein Wissen weiterzugeben. Zu viel Wasser ist nämlich erwiesenermaßen gar nicht gut für den Körper. Bewegung im Ausgleich für das viele Sitzen braucht er nicht, er treibt ja schon den einzig wahren Sport: den Motorsport.
Unter diesem Motto hetzt der Fahrlehrer auch seine Schüler*innen über die Straßen. Fährt mal wieder jemand die erlaubte Geschwindigkeit nicht voll aus, platzt ihm der Kragen.
Mit einem ungläubigen „Jetzt drück mal drauf, hier ist 50, nicht 47!“, schiebt er seinen eigenen Fuß aufs Gaspedal. Schneller ist und bleibt besser.
Der Fahrlehrer hebt den Begriff Fahrlässigkeit auf eine ganz neue Ebene. Auf Strecken, die er besonders langweilig findet, liegt seine Aufmerksamkeit auf seinem Smartphone, auf dem er scheinbar völlig vertieft Candy Crush oder Clash of Clans spielt. Damit macht er sich eine altbekannte Lehrtaktik zunutze: die Angst. Während die Fahrschüler*innen bereits bei der ersten Fahrstunde denken, sie säßen vollkommen allein im Auto, plant der Fahrlehrer insgeheim schon seine nächste Attacke. In einem Moment guckt er teilnahmslos auf den Bildschirm in seinem Schoß, im nächsten schaut er plötzlich auf und schreit los:
„Sag mal, merkste was? DU WÄRST JETZT SCHON ZWEIMAL TOT!“
Diese grundsätzlich rhetorische Frage ist nicht die einzige ihrer Art. Ganz im Gegenteil, der Fahrlehrer verfügt über ein gesamtes Repertoire an Maßnahmen zur aktiven Verunsicherung.
Ebenfalls dazu zählen Ausrufe wie „HALLOOOO! WAS STEHT DENN DA AUF DEM SCHILD? GENAU, RECHTS VOR LINKS. UND WARUM FÄHRST DU DANN NICHT?!” oder „Lass dir ruhig Zeit beim Anfahren, ich wollte nur kurz sagen, dass hinter uns schon eine Schlange steht.“
Mit dieser Technik meint er, seinen Schüler*innen Verantwortung beizubringen. Druck aufbauen und Fehler erst dann (schroff) mitteilen, wenn sie schon passiert sind, gehören zu seinen besten Tricks.
Wenn er nicht gerade den Rest der Fahrt damit verbringt, über die Lautsprecheranlage mit seinen Kolleg*innen zu telefonieren, um sich über diverse Prüfer*innen, den Chef oder auch katastrophale Fahrschüler*innen auszulassen, ist der Fahrlehrer eigentlich sehr zugänglich.
Von Stunde zu Stunde gibt er mehr Dinge aus seinem Privatleben preis.
Fragt man ihn irgendwann vertrauensvoll, ob er seinen Job schon immer machen wollte, hebt er nur ironisch die Augenbrauen. Fragt man ihn dann, ob er sich in der Zukunft noch mal in einem anderen Beruf sieht, ist die Antwort ein klares „Nö, wieso“, was sein Gegenüber gekonnt in eine unangenehme Lage bringt. Plaudern ist ja schön und gut, aber der Fahrlehrer entscheidet, wann es reicht.
Obwohl der Fahrlehrer durch seinen Kontakt zu überwiegend jungen Menschen in regem Austausch mit ihnen und der heutigen Welt sein müsste, ist er doch immer noch sehr festgefahren in alten Mustern. Das liegt vor allem daran, dass er sich viel lieber selbst reden hört. Aus diesem Grund beinhalten auch seine pausenlosen Witze immer einen gewissen sexistischen Kern. Dabei ist er so überzeugt von sich und seiner fortschrittlichen Manier, dass sich nur die Härtesten an eine Auseinandersetzung wagen. Gewinnen ist selbst für diese allerdings aussichtslos.
Genau wie das Thema Sexismus ist dem Fahrlehrer auch Rassismus natürlich völlig fremd. Er hat nun mal auch Ausländer als Fahrschüler*innen, denen er ausschließlich auf Deutsch sein Wissen vermittelt. Die Fahrweise von Ahmed ist aber halt einfach „typisch Moslem“.
Bei der zehnten Fahrstunde lässt er dann scheinbar gleichgültig durchblicken, dass die Alternative für Deutschland ja vielleicht wirklich mal eine Alternative wäre, einfach, um den anderen Parteien eins auszuwischen. Politik sei nämlich eine „große Scheiße” und wählen letztendlich „überflüssig”.
Wenn der Fahrlehrer dann nach zahlreichen Stunden einen weiteren Tag als Gefangener seines eigenen Pessimismus überstanden hat, macht er sich mit dem Fahrschulauto, das er auch privat nutzt, auf den Heimweg. Darauf freut er sich schon die ganze Zeit, denn wenn er endlich wieder selbst am Steuer sitzt, kann ihn niemand aufhalten.
Mit 240 Kilometern pro Stunde rast er über die Autobahn. Das tut er durchaus sicher und sehr kontrolliert, bringt dabei aber gerade mal so viel Rücksicht für die anderen Verkehrsteilnehmenden auf, wie nötig ist, um keinen Unfall zu bauen. Nahes Auffahren oder die ein oder andere Lichthupe stellen dabei jedenfalls kein Problem dar.
Eines muss man dem Fahrlehrer aber lassen: Es grenzt an ein Wunder, dass er noch seinen Führerschein hat.
Autorin: Tabea Neu studiert Kreatives Schreiben und Texten in Berlin an der SOPA (Berlin School of Popular Arts).
Titelbild from @Ruiyang Zhang by @pexels