Vollkornnudeln

von Lotta L. Voigt

„Wollte nicht noch einer einkaufen gehen?“

„Ich war schon“

„Wie?“

„Ja, gab keins“

„Das ist doch n Witz!“, ruft Bene und knallt den Kühlschrank zu, der offenbar ebenso wenig seinen Erwartungen entspricht wie die Klopapiersituation. Können wir ihn verstehen?

„Entspann dich, wir haben noch Zewa. Und Montag kommt Nachschub, wahrscheinlich“.

Bene will noch etwas sagen, aus Prinzip vermutlich, um seinem Ärger Luft zu machen. Doch stattdessen schaut er Robin nur eine kleine Weile an. Genauer, er schaut mit leeren Augen in seine Richtung und wendet sich dann wieder dem Kühlschrank zu. Öffnet ihn ein zweites Mal, starrt jetzt die Rückwand des Kühlschranks an und fragt: „Was gibts heute zu essen?“

„Hast du schon Hunger?“, fragt Robin, ohne von seinem Tetris 2020 aufzuschauen.

„Joa… könnte halt was essen. Nudeln vielleicht?“

Nudeln. Da schaut auch Robin auf; „Ja, Nudeln! Die hab ich gekriegt. Schau mal in der Speisekammer, müssten fünf Pakete sein und was Angebrochenes.“

Das erste Mal mit einer der Äußerungen Robins zufrieden, macht Bene sich auf den Weg, die Küche in Richtung Speisekammer zu durchqueren. Er weiß es noch nicht, aber diese Schritte werden später ein Zehntel seiner Tagesbilanz ausmachen. An seinem Ziel angekommen öffnet er die Tür und steckt den Kopf hinein. Seine Füße befinden sich nun in einem seltsamen Winkel zu seinem Körper noch in der Küche. Faulheit macht anscheinend biegsam.

„Ich seh keine“, hört man dumpf klingende Worte aus der Kammer kommen.

Robin, der sich wieder seinem Tetris 2020 zugewandt hat, antwortet nicht.

„Ey“, schallt es jetzt aus den zwei Meter Entfernung. „Da sind keine!“

„Na klar sind da welche. Hab sie doch gerade gekauft. Nicht die wie sonst, sind in so ner grünen Dings.“

Sein Spiel scheint ihn wirklich zu hundert Prozent zu vereinnahmen, weshalb er die von seinem Mitbewohner ausgehende Unruhe nur zur Hälfte wahrnimmt. Dann ist es kurz still, wir können uns aber vorstellen, wie Benes Augen jetzt angestrengt in der schlecht beleuchteten Kammer kreisen. Dann hört man ein Klick, jemand, (Bene vielleicht?), scheint auf die Idee gekommen zu sein, das Licht anzumachen. Da ertönt es, diesmal nicht dumpf, sondern so, dass es sogar Robin aus seiner rechtwinkeligen Realität holt: „Vollkorn Nudeln! Vollkorn Nudeln???“

Robin zuckt zusammen. Er blickt auf, zu Bene, der jetzt schäumend vor der Speisekammer steht.

„Sowas ess ich nicht, da verhunger ich lieber!“

Robin antwortet, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen; „Dinkelnudeln sind das, die gab’s zuhauf.“

Wir sehen, wie Bene immer größer wird, sich ausdehnt, bis er fast platzt. Etwas beunruhigend sieht das aus, doch was auch immer es ist, und was auch immer ihn da gerade so hat anschwellen lassen, entweicht kurz darauf in einem stummen, doch zügigen Strom. Er dreht sich um und verlässt die Küche.

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