Abstimmungen, wie man sie kennt, fallen weg. Argumentieren, bis es kein Gegenargument mehr gibt. Debattieren 2.0! Soziokratie – die neue Demokratie in Berlin. Die Stadt wappnet sich für einen Neustart. Für eine bessere Gesellschaft. Das politische System wird reformiert für mehr Gleichberechtigung. Das bedeutet aber gleichzeitig: Längere Entscheidungsfindungsprozesse, dafür jedoch mehr Macht für alle.
Corona und der Ruf nach Soziokratie
Zeitnah tagt der Senat erneut, um weitere Reformpunkte zu verabschieden. Auslöser für Berlins Prestigeprojekt war die Corona Pandemie im Jahr 2020: Als sich die Politik bewusst wurde, dass die Gesellschaft nur dann Entscheidungen mitträgt, wenn ihre Stimmen erhört werden und sie damit etwas bewirken können. Nachdem jeder Stadtteil für sich entschieden hatte, wie mit Corona umzugehen ist, kam der Wunsch nach einer flexibleren politischen Ordnung auf.
Überlegungen, Berlin nach soziokratischen Strukturen zu reformieren, nehmen nun immer mehr Formen an. Der Senat hat nun bei einer Sitzung die ersten zwei Reformpunkte verabschiedet. Demokratie 2.0 heißt das Prestigeprojekt, aber was bedeutet das für die Menschen Berlins?
Debattieren bis es kein Gegenargument mehr gibt
Abstimmungen werden so, wie wir sie kennen, nicht mehr stattfinden. Pro Stadtteil wird es Menschen geben, die die jeweilige Bevölkerung mindestens für sechs, maximal aber bis zwölf Monate repräsentieren. Wichtig dabei ist, dass die Repräsentantengruppe aus einem Mann, einer Frau und einem diversen Menschen besteht.
Die jeweiligen Repräsentanten der einzelnen Stadtteile (Berlin hat insgesamt 96 davon), treffen sich jeden Monat, um über das aktuelle Geschehen zu sprechen und über neue gesellschaftliche Reformen für ein besseres Miteinander zu debattieren. Argumente treffen auf Gegenargumente, bis letztere nicht mehr vorhanden sind. Gegner dieser neuen Reform sind der Meinung, dass dadurch Entscheidungen noch zeitintensiver werden. Befürworter argumentieren damit, dass sie jedoch überlegter und nachhaltiger sind, da sie individuell auf die Bevölkerung eines Stadtteils zugeschnitten werden. Somit kann mehr auf die Bedürfnisse der Einzelnen eingegangen werden.
Jeder Mensch erhält mehr Macht bei wichtigen Entscheidungen. Damit diese Macht nicht gegen Minderheiten oder für extremes Gedankengut missbraucht wird, gibt es einen Rat pro Stadtteil. Dieser besteht ebenfalls aus jeweils einem Mann, einer Frau und einem diversen Menschen. Sie beobachten die Debatten und kontrollieren das Einhalten der Grundrechte, der Gleichberechtigung und geben Acht auf ein besseres und menschlicheres Miteinander.
Berlin ist das erste Bundesland, dass jetzt mit dem Slogan „Soziokratie- die neue Demokratie 2.0 in Berlin“ wirbt. Umgesetzt werden soll das Ganze bis zum Sommer 2022.
Autor: Carsten Jan Weichelt
Foto: Parker Johnson on Unsplash