Blogtext einer genervten Autorin, die auch mal Mädchen war
Die Rosa-Hellblau-Falle
„Who the fuck said that?“, habt ihr euch vielleicht gefragt, als ihr den Titel gelesen habt und ganz ehrlich, Leute: Das frage ich mich auch. Wer hat sich bitte ausgedacht, dass es in Mädchenbüchern nur um Pferde, Feen und Prinzessinnen gehen darf? (Ach ja, und um Hausarbeit. Ganz viel Hausarbeit!)
Und wer jetzt der Meinung ist, ich übertreibe, hat damit zwar recht; womit ich aber nicht übertreibe, ist die Fassungslosigkeit, die ich jedes Mal von Neuem empfinde, wenn ich mich mit den Geschlechterungleichheiten von Kinderbüchern auseinandersetze. Oder sollte ich lieber direkt von Jungen- und Mädchenbüchern sprechen? Denn schaut man sich den Buchmarkt an, fragt man sich fast schon, ob es so etwas wie geschlechtsunabhängige Kinderbücher überhaupt noch gibt.
Zur Einstimmung in dieses Thema kann ich den Artikel Blaue Bücher, rosa Bücher der Süddeutschen empfehlen, in dem eine Datenrecherche über Geschlechterklischees in Kinderbüchern ausgewertet und kommentiert wird. Denn so viel Faktenwissen, wie dort zu den immensen Ungleichheiten zu erfahren ist, kann ich hier nicht unterbringen. Stattdessen möchte ich darüber sprechen, was wir gegen diese Rollenklischees tun können und warum wir überhaupt etwas tun müssen.
Das Pippi-und-Annika-Phänomen
Wenn ich nun behaupte, es gebe keine Kinderbücher mit starken Mädchen, werden einige von euch laut aufschreien und mir einen Satz entgegenschleudern, der mit „Aber es gibt doch“ beginnt. Und ja, ihr habt recht: Es gibt sehr wohl Kinderbücher mit starken Mädchen, aber abgesehen davon, dass das viel zu wenige sind, zeichnet sich die eine starke Mädchenfigur zumeist dadurch aus, dass sie die einzige ist.
Damit Pippi Langstrumpf aus den gleichnamigen Kinderbüchern stark und unabhängig wirkt, muss ihre Freundin Annika ein braves, süßes Mädchen sein, das stets saubere Fingernägel hat und alles ihrer Mutter petzen will.
Damit George aus der Kinderbuchreihe Fünf Freunde besonders mutig und unfeminin wirkt (denn wie immer gilt: feminin = schwach), muss die zweite weibliche Figur unselbstständig sein und natürlich lange blonde Haare haben.
Das Phänomen, dass es nur eine starke Mädchenfigur geben darf, setzt sich fort, zum Beispiel in den Wilden Kerlen: Die einzige weibliche Hauptfigur verhält sich wie ein Junge. (Also so, wie ein Junge sich laut gesellschaftlicher Rollenbilder angeblich zu verhalten hat.) Das Verhalten an sich stellt kein Problem dar, nur wird dadurch eben erneut das Bild gefestigt, dass Mädchen natürlicherweise schwach sind und sich daher automatisch von den anderen Mädchen abheben, wenn sie das mal nicht sind. (Nicht umsonst gibt es den Begriff „Powerfrau“ – normalerweise sind Frauen eben einfach nicht stark.)
Ein Ponyhof für alle
Im Grunde sind es vor allem zwei Gruppen von Menschen, die dafür sorgen, dass kleine Kinder durch Bücher in vorgefestigte Geschlechterrolle hineinrutschen: Jene, die ihnen die Bücher kaufen, und solche, die sie schreiben und verlegen.
Also Leute, machen wir es besser. Bitte!
Und damit meine ich nicht, dass Prinzessinnen, Feen und Pferde verteufelt werden müssen, sondern dass es schlichtweg an Diversität fehlt. Dass es an feministischen Kinderbüchern fehlt. Denn auch, wenn Pippi Langstrumpf Mädchen Mut gemacht hat, ist das Buch damit noch lange nicht feministisch.
Wieso können nicht alle Mädchen auf ihre eigene Weise Vorbilder sein, wieso muss immer eine schwach sein, damit die andere stark sein kann? Wieso kann kein Mädchen in Kleid und mit Blümchen im Haar die mutigste sein? Und wieso müssen sich die Figuren überhaupt entscheiden, wie feminin sie sein wollen? Wieso kein Mädchen, das erst auf dem Ponyhof reiten geht, dann mit Puppen spielt und dann später im Wald auf Bäume klettert? Wieso kein Mädchen, das mit ihrer Weiblichkeit zu kämpfen hat? Und wieso um alles in der Welt kein Junge, der schwächlich ist und weint und trotzdem nicht das Weichei ist?
Denn selbstverständlich arbeiten die Geschlechterrollen nicht nur in eine Richtung, sondern in beide: Jungs kämpfen furchtlos mit Piraten und Mädchen helfen ihren Müttern (bloß nicht den Vätern übrigens) beim Putzen.
Aber so muss das nicht mehr sein.
Doch nur, wenn wir es ändern.
Und das ist doch nicht so schwer, oder?
Autorin: Juditha Lehmkuhl studiert Kreatives Schreiben und Texten an der SOPA (Berlin School of Popular Arts).
Foto von Tumisu auf Pixabay