Notate aus Hildesheim

Im Sommer 2023 haben die im Wintersemester 2021/2022 gestarteten Studierenden des B.A. Kreatives Schreiben und Texten an der SOPA das Hildesheimer Literaturfestival Prosanova besucht. Auf ihrem Blog berichten sie von ihren Eindrücken.

Cornflakes am Morgen
Ich sitze in der Küche der Ferienwohnung. Vor mir steht ein weißer Suppenteller. Es befindet sich allerdings keine Suppe darin, sondern Cornflakes mit Milch. Die Flakes haben eine ungewöhnliche Form. Ein bisschen wie Blumen mit vier runden Blättern, die aber alle zusammen trotzdem irgendwie viereckig sind, symmetrisch auf ihre eigene Art und Weise. Auf der Packung steht „Knusprige Getreidekost mit Schoko- und Karamellgeschmack“. Wahrscheinlich gibt es eine Verordnung, die bestimmt, was man „Cornflakes“ nennen darf und was nicht. Diese „Knusprige Getreidekost“ war den Cornflakes-Anforderungen anscheinend nicht gewachsen. Während ich so in die Suppenschüssel starre, nimmt die Milch allmählich die Farbe der „Getreidekost“ an. Eine Mischung aus Dunkel- und Hellbraun – Schoko und Karamell. Mit einem Teelöffel fische ich das erste rund-eckige Etwas aus dem Suppenteller. Es schmeckt süß.

Kirchenglocken am Vormittag
Ich stehe vor einem Gitter. Dahinter ist es dunkel, aber nachdem ich eine Münze in den Kasten mit der Aufschrift „Beleuchtung der Glocken – Einwurf 0,50 Euro“ gesteckt habe, geht das Licht an. Eine Stahlkonstruktion kommt zum Vorschein, die vier schwere Kirchenglocken trägt. Die größte Glocke befindet sich direkt vor mir in der Mitte. Sie bewegt sich nicht, wartet darauf, mit ihrer Innenseite an den Klöppel zu schlagen, um ein ohrenbetäubendes Geräusch zu erzeugen. Das muss wie Schaukeln sein. Die Glocke fliegt hin und her, trifft dabei immer wieder auf den Klöppel. Zwei Freunde, die zusammen Spaß haben. 

Dekoration am Mittag
Ich befinde mich auf dem Prosanova-Festival in der Aula. An der Wand rechts neben mir, welche in einer Mischung aus Gelb, Orange und Rot gestrichen ist, ist eine auffallende Lampe angebracht. Drei gold-bronzefarbene Stäbe hängen wie Kerzenständer mit einem geschwungenen Fuß an der Wand. Statt Kerzen stecken in ihnen langgezogene Glühbirnen, als hätte jemand einfach ein paar Neonröhren aus ihrer Halterung geschraubt und beschlossen, dass sie vertikal in einem Kerzenständer besser aussähen. Am Fuß der Kerzenständerlampe ist das Ende einer Girlande befestigt. Viele kleine Dreiecke schimmern in Regenbogenfarben um die Wette. 

Delfine am Nachmittag
Ich sitze im Werkstatt-Raum des Prosanova-Festivals und schaue auf die Wand vor mir. Die Raufasertapete ist hellblau gestrichen. Mehrere Delfine wurden auf diese Wand gemalt, nicht im realistischen Stil, sondern vielmehr als hätten talentierte Kinderhände sie erschaffen. Die Proportionen sind gut getroffen und die Schattierungen in Hell- und Dunkelblau lassen die Tiere lebendig wirken. Einer der Delfine sieht aus, als würde er schielen, obwohl er von der Seite abgebildet und sein zweites Auge gar nicht zu sehen ist. Vielleicht ist er überfordert, weil er die ganze Zeit in der Luft schweben muss. Jemand hat vergessen, den Delfinen ein Meer zu malen. 

Blütenblatt am Abend
Ich bin auf dem Weg zur Ferienwohnung. Am rechten Wegesrand entdecke ich eine rosafarbene, hängende Rose. Sie berührt ein auf dem Boden liegendes Blütenblatt. Wahrscheinlich hat sie es verloren und wollte es wieder aufheben, aber jetzt kommt sie nicht mehr hoch.

Autorin: Katharina Glaser studiert Kreatives Schreiben und Texten an der SOPA (Berlin School of Popular Arts).

Titelbild: Katharina Glaser

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