Ich stehe hinter dem Tresen an der Kaffeemaschine, spanne den Siebträger ein, schäume die Milch und fülle den Cappuccino in die Tasse. Und dann, ganz plötzlich, höre ich ihn neben mir. Er sagt – nein ruft – voller Fröhlichkeit, als wäre es das Aufregendste und Tollste der Welt: „Wollen Sie einen Stempel?“ Ich gucke zu der älteren Dame, die gerade auf ihre Bestellung wartet und nun meinen Arbeitskollegen verwirrt und fragend ansieht. Er strahlt sie an wie ein Kind, das einen Lolli bekommen hat. Mein Blick wandert zwischen ihm und der Frau hin und her. Bitte, flehe ich innerlich, bitte, liebe ältere Dame, bitte sag „Ja.“ Ich halte die Luft an, während sich die Sekunden ziehen, als wären sie plötzlich dreimal so lang. Und dann öffnet die immer noch überforderte Frau den Mund: „Ja?“ Puh, Glück gehabt. Wobei, was soll sie auch sonst sagen? Wenn mich jemand so begeistert und erwartungsvoll ansieht, kann ich auch nicht „Nein“ sagen. Ich würde die Enttäuschung nicht verkraften, die mein „Nein“ auslösen würde, wenn er traurig nach neuen Kund*innen Ausschau halten müsste, die für Kaffee anstehen und denen er einen Stempel aufdrücken könnte. Die erloschene Hoffnung in seinen Augen, wenn er nicht den kleinen Holzstempel nehmen, mit der Vorderseite in das Stempelkissen drücken und den Stempel auf die Stempelkarte pressen kann. Auch wenn die Antwort der Dame mehr wie eine Frage als eine Antwort klingt. Sie weiß wohl nicht so recht, was mein Kollege mit „Stempel“ meint. Entweder war sie noch nie hier oder sie war sehr wohl schon mal hier, aber eben nie bei ihm, der die Sache mit den Stempelkarten wirklich sehr ernst nimmt. Das Grinsen meines Kollegen wird nochmal breiter – ich hätte nicht gedacht, dass das möglich ist – und er fragt: „Haben Sie denn schon eine Stempelkarte?“ „Nein.“ Er kramt unter dem Tresen und legt die kleine weiße Karte auf die schwarze Oberfläche. „Hier, dann bekommen Sie jetzt eine. Wenn Sie die acht Felder voll haben, bekommen Sie einen Kaffee gratis.“ Würde ich nicht seine Sprache sprechen, würde ich bei seiner Begeisterung denken, er hätte die Reise seines Lebens gewonnen. Also: kleiner Holzstempel in die Hand, mit der Vorderseite ins Stempelkissen, Stempel in Form einer Kaffeebohne auf den kleinen Kreis der Stempelkarte. Ich habe aufgehört zu zählen, wie viele Stempel er im Laufe des Tages schon verteilt hat. So viele Stempel wurden seit Eröffnung des Cafés wohl noch nie an einem Tag gestempelt. Und so viele neue Stempelkarten innerhalb weniger Stunden wurden wohl auch noch nie herausgegeben, weil noch niemand so gerne den kleinen Holzstempel mit der Kaffeebohne in das Stempelkissen gedrückt und anschließend auf die Stempelkarte gepresst hat. Und dabei hat mein Kollege im Laufe des Tages nicht mal einen winzigen Bruchteil seiner Begeisterung und Freude am Stempeln verloren. Im Gegenteil. Von mir bekommt mein Kollege ab heute den Stempel „Stempler“ aufgedrückt. Abgestempelt als der, der am liebsten von uns allen stempelt. Ich stelle der Frau ihren Kaffee hin, während sie nach der Karte greift. Ich lächele sie an, sie lächelt meinen Arbeitskollegen an. Noch immer hält er den Stempel in der Hand. Ich folge seinem Blick nach rechts, Richtung Tür. Da ist keine Schlange an Leuten. Niemand Neues ist gerade da. Er lässt die Hand sinken und blickt wieder zurück zu der älteren Dame, die sich mit ihrem Kaffee umdreht und zu einem der Tische geht. Gerade rechtzeitig, bevor er sie bitten kann, noch drei Tassen Kaffee zu nehmen, damit er noch dreimal den kleinen Holzstempel mit der Kaffeebohne drauf ins Stempelkissen drücken und die grünliche Farbe dann auf die Stempelkarte pressen kann. „Sag mal“, sagt er dann und dreht sich mit dem Holzstempel zu mir um. „Ist der Stempel hier vom Café selbst gemacht worden oder können die Leute genau diesen Stempel im Laden kaufen und sich selbst die Stempelkarten vollstempeln?“ Langsam, wie in Zeitlupe, legt er den Stempel neben das Stempelkissen. Die Angst, nicht mehr jede*n neue*n Kund*in mit seinen heißgeliebten Stempelkarten mit den gestempelten Kaffeebohnen zu versorgen, steht ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Ich kann nur mit den Schultern zucken, während er bereits wieder voller Erwartung zur Türe starrt, bis neue potenzielle Stempelsammler*innen hereinkommen, die ganz viel Kaffee bestellen und die er mit dem Holzstempel, einer Stempelkarte und hoffentlich ganz vielen Stempeln bedienen kann.
Autorin: Leonie Hechenberger studiert Kreatives Schreiben und Texten an der AIM (School of Arts, Information and Media).