Schmatzen. Das klingt genauso wie das, was es ausdrückt.
Das luftgefüllte sch, das in einer bedrohlichen Böe durch den Mundraum fegt, bis es mit einer solchen Kraft vorne auf die geschlossene Wand des m prallt, dass dieses nicht anders kann, als einem befreienden a zu weichen – der Moment, in dem auch eventuelle, unfertig gekaute Essensreste ihren Weg nach draußen finden. Als würde das in diesem Moment auch dem Mund bewusst, versucht er hektisch, mit einem t zu schließen, verheddert dabei jedoch die Zunge an den oberen Schneidezähnen und stolpert so in ein ungewolltes z, welches das Fass wortwörtlich zum Überlaufen bringt. Spätestens jetzt haben alle am Tisch mindestens einen Spucketropfen fliegen sehen. Da hilft auch das peinlich berührte en nicht, um die Aufmerksamkeit von dem Desaster abzulenken.
Ja, Schmatzen ist ein wahres Gefecht. Nicht nur im Mundinneren, sondern auch für alle Umsitzenden. Egal ob Geräuschkulisse, Anblick, fremde Tröpfchen im eigenen Gesicht oder akuter Appetitverlust, das Schmatzen eines anderen bedient wirklich alle Sinne. Ist es nicht bemerkenswert, wie schnell Essen seinen Reiz verliert, sobald es einen fremden Mund betritt? Da bekommt die Redewendung „das Auge isst mit“ eine ganz neue Bedeutung, wenn man einem anderen Menschen wahrhaftig dabei zusehen muss, wie die ersten Enzyme im Mundraum die Nahrung spalten. Und als wäre das nicht herausfordernd genug, muss man auch noch dabei zuhören. Das Ohr isst offenbar auch mit. Und es verliert schnell den Appetit.
Wenn aber allein das Wort Ekel hervorrufen kann, was ist dann mit all den anderen Wörtern mit gleicher Phonetik? Was ist mit Katzen? Und Spatzen? Und Tatzen? Ähnliches Klangbild und doch denken hierbei die meisten an etwas Niedliches. Man will sich anschmiegen, die Finger durch flauschiges Fell gleiten lassen oder diesen samtigen Pfoten dabei zuschauen, wie sie lautlos über die Erde streifen.
Was also macht Schmatzen falsch? Ist es eine Frage des Respekts? Schmatzen, „das macht man nicht”. Genauso wie man nicht die Suppe schlürft oder mit offenem Mund gähnt. Aber Gähnen ist so viel ehrlicher ohne vorgehaltene Hand und Suppe so viel leckerer, wenn man sie schlürft. Nicht umsonst ist das Schlürfen bei der Weinprobe ein Zeichen von Expertise. Wer Wein schlürft, verdient sozusagen größten Respekt. Vielleicht verdient auch Schmatzen mehr Anerkennung. Vielleicht ist es ein missverstandener Ausdruck von Genuss, weil den meisten in erster Linie übel wird.
Ja, womöglich liegt das Problem beim Sattheitsgrad. Schmatzen ist letztendlich doch am schlimmsten, wenn man selbst keinen Hunger mehr hat. Wenn der Magen so richtig voll daliegt und es dann jemand anderes wagt, weiterhin indiskret Essen in sich reinzuschaufeln. Als könnte jeder weitere Bissen des Gegenübers den eigenen Magen zum Platzen bringen. Ein Glück, dass man vom Anblick von Katzen, Spatzen und Tatzen einfach nicht satt werden kann.
Autorin: Tabea Neu studiert Kreatives Schreiben und Texten an der AIM (School of Arts, Information and Media).