verrückt

Es gibt Worte, deren ursprüngliche Bedeutungen uns im alltäglichen Sprachgebrauch kaum noch bewusst sind. Dazu gehört auch das Wort verrückt.

Ein paar Beispiele aus dem Alltag: 

  • Der Schreibtisch ist ja total verrückt! 
  • Sag mal, Schatz, hast du gestern Abend das Sofa verrückt? 
  • Der Typ vor mir an der Kasse hat drei Packungen Klopapier auf Vorrat gekauft. Das ist doch verrückt! 
  • Verrückt, wie schnell die Zeit vergeht!
  • Du willst kündigen und dich selbstständig machen? Bist du verrückt? 
  • Oder auch, besonders häufig zu sehen in Tinder-Bios: Ich bin die Anna, eigentlich eine ganz Liebe, aber auch ein klein wenig verrückt! (Vor allem im Bett *zwinker, zwinker*) 
  • Und bei Elitepartner: Hallo, ich bin die Anette und ich bin tooootal crazyyy!

Euren Schreibtisch dürft ihr so oft verrücken, wie ihr wollt, da hat höchstens euer Rücken etwas gegen einzuwenden. Bezieht es sich auf Menschen, hat das Wort verrückt aber ein entscheidendes Problem: Es ist behindertenfeindlich. Verrückt wird nämlich definiert als „krankhaft wirr im Denken und Handeln“ und beschreibt somit psychische Erkrankungen. Wenn wir nun beispielsweise sagen, AfD-Wähler*innen seien halt einfach verrückt, schieben wir die Schuld auf eine psychische Erkrankung. Das diskriminiert Menschen mit tatsächlichen psychischen Erkrankungen und spricht parallel dazu den AfD-Wähler*innen die Verantwortlichkeit für ihre Kreuze auf dem Stimmzettel ab. Gleiches gilt für Wörter wie behindert, dumm, krank und idiotisch

Ganz simple Beispiele: 

  • Wählen dumme Menschen automatisch die AfD? Nein, Arschlöcher wählen die AfD1
  • Ist Donald Trump ein Idiot? Nein, nur ein sehr egoistischer und nicht sonderlich menschenfreundlicher alter Mann. 

Ich weiß, wie schwierig es ist, sich Wörter, die man selbstverständlich in den eigenen Wortschatz aufgenommen hat, wieder abzugewöhnen. Aber mit ein wenig Übung schafft ihr es, versprochen! Deswegen habe ich die Beispielsätze von vorhin umformuliert:

  • Der Typ vor mir an der Kasse hat drei Packungen Klopapier auf Vorrat gekauft. Das ist doch unmöglich! Vielleicht brauche ich auch noch Klopapier?!
  • Unfassbar, wie schnell die Zeit vergeht!
  • Du willst kündigen und dich selbstständig machen? Hast du dir das gut überlegt? Bist du da nicht ein wenig vorschnell
  • Ich bin Anna, eigentlich eine ganz Liebe, aber auch abenteuerlustig und offen für Neues. (Vor allem im Bett *zwinker zwinker*)
  • Hallo, ich bin die Anette und ich tue oft Dinge, die andere Menschen verwundern

Statt sofort alles, das wir nicht begreifen, als verrückt zu bezeichnen, könnten wir uns ein paar Sekunden mehr Zeit nehmen und uns überlegen, was wir tatsächlich meinen oder empfinden. Es ist wirklich so einfach, zu sprechen, ohne Menschen zu diskriminieren! Ist das nicht … erstaunlich

  1.  Und ja, mir ist klar, dass es ein bisschen komplizierter ist als das, aber dieser Text hier ist kein Vermittlungsversuch (der kommt vielleicht später). Außerdem habe ich leider chronisch sehr viel Lust, mich über die AfD aufzuregen. ↩︎

Die Autorin Juditha Lehmkuhl studiert Kreatives Schreiben und Texten an der AIM (School of Arts, Information und Media).

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