Es ist da

Carsten Jan Weichelt

Ruhig ist es geworden. Kaum mehr Straßenlärm, stattdessen hört man die Vögel eine Symphonie zwitschern. Dazu ein blauer Himmel und strahlender Sonnenschein. Gleichzeitig wartet man darauf, dass die Zahlen explodieren und dass das Gesundheits-system als wichtiges Organ der Gesellschaft kollabiert. Während des Wartens vergisst man manchmal, warum man wartet. Warum man zu Hause arbeitet und plötzlich Zeit für Dinge hat, die man schon die ganze Zeit vor sich herschiebt. Warum es eigentlich gerade so ist, wie es ist. Ein paar Sekunden später erinnert man sich an die Antwort: wegen der Gefahr.

Die Einen fordern schon wieder Lockerungen, die Anderen sagen, dass es dafür viel zu früh ist. Meinungsfreiheit ist wichtig. Plötzlich haben viele Menschen etwas zu sagen, die dabei den Eindruck erwecken, Dinge zu wissen, die man noch gar nicht wissen kann. Diskussionen sind wichtig, sogar die Frage „Ist die Wirtschaft wichtiger als Menschenleben?“ steht schon zur Debatte.

Diese Pandemie ist eine Lektion für ein besseres Miteinander. Jetzt liegt es an allen, jedem einzelnen Individuum, ein Gemeinsam wieder zu erarbeiten. Nicht jeder wird es umsetzen, doch die meisten werden es verstehen. Hoffentlich. Dieses Gemeinsame hat der Gesellschaft, nicht nur in Deutschland, schon lange gefehlt. Auch wenn das Einschränkungen bedeutet, das Ziel ist: So viele Menschen wie möglich zu beschützen, bis ein Impfstoff vorhanden ist.

Wie so oft gibt es kein Richtig und kein Falsch. Durch diese Pandemie gibt es aber ein Gemeinsam, dass über die deutschen Grenzen hinausgeht, nämlich ganz Europa, sogar die ganze Welt betrifft. Doch am härtesten wird es wohl die armen Länder treffen, die Entwicklungsländer – was passiert mit ihnen?

Es ist ein unglaubliches Mammutprojekt. Niemand wurde gefragt, ob er daran teilnehmen möchte. Doch wer ein Teil dieser Gesell-schaft ist, nimmt automatisch daran teil. Das bedeutet für alle die gleiche neue Situation. Wir alle müssen uns anpassen und im besten Fall erlernen wir zusätzlich, wieder besser aufeinander aufzupassen. So wie schon lange nicht mehr.

Es liegt in den Händen der Gesellschaft. Wir alle haben die Macht, dass es am Ende besser ausgeht, als wir am Anfang noch gedacht haben. Bei manchen spielen Hoffnung und Angst Pingpong, das ist verständlich. Doch Angst schränkt unseren Blickwinkel ein und in diesen Tagen müssen wir viel weiter blicken. Während die Einen um ihr Leben ringen, versuchen die Anderen wiederum Leben zu retten. Während die Einen versorgen, besorgen die Anderen.

Das Wetter ist viel zu schön für so eine Zeit und macht alles noch surrealer. Aber vielleicht steht die Sonne auch einfach für Hoffnung. Die Hoffnung darauf, dass die Ruhe vor dem Sturm[1] nicht in einem Hurricane endet. 

Gemeinsam schreiben wir gerade Historie. Jeder neue Tag ist wie eine neue Seite in dieser historischen Geschichte. Wir alle haben es in der eigenen Hand, wie wir darin handeln und welche Wörter auf den Seiten abgedruckt werden. Wir entscheiden, ob das Geschichts-buch denen, die nach uns kommen, Hoffnung und Glaube an Solidarität geben wird oder nicht.

[1] https://www.welt.de/print/die_welt/article206830997/Spahn-zur-Corona-Lage-Noch-ist-das-die-Ruhe-vor-dem-Sturm.html

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