Ausweglos

Die wahre Geschichte von einem einsamen Mann, der alles und doch nichts hat.

Die Autorin Franziska Löffler, Studentin des Studiengangs Kreatives Schreiben an der SOPA (Berlin School of Popular Arts), stellt ihren Text Ausweglos vor.

Robert hat alles erreicht, was er sich in seinem Leben vorgenommen hat. Er ist erfolgreich im Job, verdient mehr als genug Geld und wohnt in einem angesehenen Hochhaus, von dem aus man die Stadt überblicken kann. Jeden Tag verabredet er sich in einem anderen renommierten Restaurant mit Freunden, Bekannten oder Liebschaften. Er muss selten alleine schlafen gehen.

Und doch ist er einsam, denn er hat sich nie festgelegt. Wilde Partys, schöne Frauen und jede Menge Drogen haben ihn stets davon abgehalten, sesshaft zu werden. Und seine große Liebe hat er bereits verloren. Vor langer Zeit war er noch nicht so erfolgreich und hatte doch alles, was er brauchte, um glücklich zu sein: Sarah. Mit ihrem leuchtend gelbem Haar, dunkelbraunen Augen und ehrlichem Lächeln verzauberte sie ihn jeden Tag aufs Neue. Und doch dachte er, es fehle ihm etwas. Denn er wollte ihr alles bieten, auch wenn sie das bei jeder Gelegenheit verneinte. Ihr reichte, was sie hatte: dasselbe kleine Haus, dieselbe Katze, dieselbe Kleidung, dasselbe Essen. Sie war glücklich. Doch er glaubte ihr nicht. Und er wurde unglücklich. Er arbeitete nur noch, um so schnell wie möglich aufzusteigen und war dafür umso weniger zu Hause. Er hatte keine Zeit mehr. Er konnte nicht mehr schlafen. Er war nicht da, um sich von Sarahs Haaren, ihren Augen und ihrem Lächeln verzaubern zu lassen. Ein kurioses Geschäft ließ ihn aufhorchen, als ihm viel Geld geboten wurde. Endlich konnte er Sarah alles geben, was er ihr schon immer geben wollte. Und er wurde noch gestresster und es wurde noch später. Um einzuschlafen, nahm er Schlaftabletten. Um aufzuwachen Kokain. Schon bald rutschte er weiter ab. Je reicher er wurde, desto kaputter wurde er. Bis er durchdrehte. Es passierte vor drei Jahren, an dem Tag, den er nie vergessen sollte. 

In ihrem alten Reihenhaus war Sarah gerade dabei, Weihnachtsgeschenke zu verpacken. Sorgsam maß sie die Länge des Geschenkbandes und schnitt sie bedacht an der gewünschten Stelle ab. Mit wenigen Handgriffen wickelte sie das Band um das Geschenk und schnürte es in eine perfekte Schleife. Es war für sie meditativ, die gleichen Abläufe mehrmals durchzuführen. Früher sah ihr Robert zu. Jetzt war da nur noch ihre Katze, die neben ihr lag und genüsslich schnurrte. 

Sie genoss den ruhigen Abend und die leise Musik aus dem Radio, gepaart mit dem Schneesturm. Plötzlich stürmte Robert durch die Tür und stürzte auf den Wohnzimmerboden. Eine kalte Brise wehte vereinzelte Schneeflocken hinein. Sarah zuckte kurz zusammen und seufzte. Sie legte die Schere beiseite und schloss die Tür, bevor die Katze entwischen konnte. Sie half Robert hoch und setzte ihn auf den Stuhl. Die Katze miaute währenddessen lauthals die Tür an und beschwerte sich, nicht hinauszudürfen. Es war zu stürmisch. Sarah setze sich gegenüber von Robert und blickte ihn verzweifelt an. 

„So geht das nicht weiter. Sieh dich an. Sieh mich an.”

Robert hob mit Mühe seinen Kopf und starrte mit leeren Augen auf Sarah.

„Ich mache das für dich, Sarah.”

„Nein, das tust du schon lange nicht mehr. Du siehst mich doch kaum.”

„Bald können wir alles haben, was wir jemals wollten.”

„Ich hatte alles, was ich wollte!”, schrie Sarah laut. Es war genug. Tränen strömten ihr übers Gesicht und sie stand auf. Mit angewidertem Blick wandte sie sich ab. „Ich kann dich nicht mehr ansehen, geschweige denn berühren. Ich gehe.” „SARAH BLEIB STEHEN!”, schrie Robert und erhob sich mühsam. Die Katze fing laut zu jammern an. Robert packte Sarah am Arm und riss sie herum. Sarah schrie laut auf und wand sich in seinem festen Griff. Sie versuchte ihn wegzustoßen, doch er war wie besessen und ließ nicht los. Robert hob die Hand und verpasste Sarah mit der rechten Hand eine feste Ohrfeige. Sarah ging kreischend zu Boden und legte sich schützend die Hand auf die Wange. Mit verweinten Augen blickte sie ihn erschrocken an und konnte sich kaum rühren. Robert torkelte etwas zurück und fing nun auch zu weinen an. „Ich verlasse dich jetzt sofort”, sagte Sarah, nahm die Katze auf den Arm und ging Richtung Tür. Robert war starr, doch die Wut brodelte in ihm. Er nahm die Schere vom Tisch und stürmte auf Sarah zu. Als sie die Tür öffnete, wirbelte er sie erneut herum und packte die Katze am Nacken. Ohne weiter nachzudenken stach er mehrmals auf sie ein. Sein Blick war verschwommen, seine Ohren taub, er konnte keine Schreie hören. Er spürte nur das feuchte Blut, das seine Arme hinablief. Wie besessen klebte sein Blick an der Katze, bis deren Eingeweide vollständig auf dem Boden verteilt waren. 

Sein Herzschlag pochte in seinem Kopf und sein Atem verlangsamte sich. Er blickte auf seine in Rot getränkten Hände. Als Roberts Rausch etwas verebbte, seine Sicht klarer wurde und er endlich den Blick hob, stand die Tür sperrangelweit offen. Sarah war weg.

Drei Jahre später sitzt er auf dem Balkon seines Penthouse und überblickt die Stadt. Es ist schon dunkel und die funkelnden Lichter zeigen das rege Treiben der Bewohner. Er kann nicht mehr schlafen, er hat sich dem Rausch vollkommen ausgeliefert. Seit Wochen spürt er in seinem Brustkorb das schleichende Gefühl der Rage, die ihn auch damals übermannt hat. Neben ihm steht ein Glas seines Lieblingsdrinks: ein Old Fashioned. Ein letztes Mal. Er nimmt einen kräftigen Schluck und greift nach der Schere, die daneben liegt. So einfach und unschuldig ruht sie in der Hand. Und doch hatte sie sein Leben zerstört. Er umfasst sie fest und rammt sie sich in den Hals. 

Autorin: Franziska Löffler studiert Kreatives Schreiben und Texten in Berlin an der SOPA (Berlin School of Popular Arts).

Titelbild & Copyright by @Sebastian Fröhlich 

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