Das ist mal ein Rot (1)

Die Autorin Juditha Lehmkuhl, Studentin des Studiengangs Kreatives Schreiben an der SOPA, stellt den ersten Teil ihrer Kurzgeschichte Das ist mal ein Rot vor.

Ihre Beziehung begann und endete mit Harndrang. Sandra lernte ihn auf einem Festival kennen. Der komplizierten Toilettensituation geschuldet, pinkelte er in einen Busch. Neben ihn stellte sich Sandra und pinkelte in denselben Busch. Zunächst nahm er sie nicht wahr. Denn er stand so sehr nicht auf Männer, dass er seine Freunde nur Kollegen nannte und hinter jede Umarmung ein halbironisches, halbängstliches aber no homo stellte. Man hätte auch auf die Idee kommen können, er habe etwas gegen Schwule. Nun ja. Er stand also dort, und als er fertig war, alles wieder gerichtet hatte und wegtreten wollte, streifte sein Blick Sandra, die dastand in heruntergelassenen Shorts, einem Top, das auch ein BH hätte sein können und sich einen Papiertrichter zwischen die Beine hielt. Als sie fertig war, starrte er sie noch immer an. 

„Ich bin Sandra“, sagte sie, in der einen Hand den nassen Papiertrichter. 

Was für eine Frau, dachte er. 

Dann ging alles ganz schnell. Also: Was heißt schon schnell? Hinter einer Mauer jedenfalls fand sein Geschlechtsorgan irgendwann den Weg in ihres. Sandra spürte nicht viel, aber was sollte man schon erwarten von Sex im Stehen auf einer Wiese mit einem feuchten Papiertrichter in der Hand, außerdem hatte sie viel getrunken und Alkohol betäubte. 

Außer Atem lehnten die beiden danach an der Mauer, er ausgelaugt vom Orgasmus, sie überanstrengt von der unbequemen, Muskelkraft erfordernden Sexstellung. Er drehte seinen Kopf zu ihr. „Du bist so – so natürlich.“ 

Das freute Sandra. Natürlich, wer hätte sich darüber auch nicht gefreut? Sie zog einen Filzstift aus ihrer Hosentasche (wozu sie einen Filzstift in ihrer Hosentasche hatte, ob vielleicht genau dafür und wie oft sie ihn an diesem Abend schon verwendet hatte – danach fragte er nicht) und notierte ihre Handynummer auf seinem Arm. Er keuchte immer noch vor sich hin und als sie sich von der Mauer abstieß und verschwand, sah er ihr mit offenem Mund nach.

Fünf Tage nach diesem Ereignis gingen sie ins Kino. Sandra hatte sich geschminkt und einen neuen roten Lippenstift ausprobiert. Er wartete vor dem Kino auf sie. Als sie ihn entdeckt hatte und auf ihn zukam, zog er die Augenbrauen hoch. „Oha. Das ist mal ein Rot!“ 

Verunsichert lächelte Sandra und sie gingen hinein. Er kaufte Karten für die letzte Reihe. Sandra sagte, sie müsse noch einmal aufs Klo. Vor dem Spiegel über dem Waschbecken entfernte sie den Lippenstift. Erst mit Wasser, dann mit viel Kraft und Aggressionen (er war wasserfest) und schließlich mit dem Make-up-Entferner, den ihr ein anderes Mädchen zögernd entgegenstreckte. 

Als Sandra die Toilette wieder verließ, lächelte er sie das erste Mal an diesem Abend an. Sie schämte sich dafür, ganz offensichtlich um seinetwillen den Lippenstift abgewaschen zu haben, lehnte sich also schelmisch grinsend zu seinem Ohr hinüber und flüsterte, er sei nicht kussfest gewesen. Wegen letzter Reihe und so. 

Als sie ein paar Stunden später nackt und verschwitzt in seinem Bett lagen, er ausgelaugt vom Orgasmus, sie überanstrengt von ihren Versuchen, an irgendetwas Heißes zu denken, um auch zu kommen (Versuch fehlgeschlagen), sagte er, es sei wohl eine gute Idee gewesen, den Lippenstift abzuwaschen.

Autorin: Juditha Lehmkuhl studiert Kreatives Schreiben und Texten an der SOPA (Berlin School of Popular Arts).

Titelbild von Tünde auf Pixabay

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