JEDES JAHR AUFS NEUE

von Lilli Hermann

Die ersten kalten Tage im Jahr sind noch aufregend. Die dicken Winterklamotten werden herausgekramt und man freut sich auf behagliche Abende zuhause, an denen man sich mit einem Heißgetränk in der Hand und zugedeckt mit einer flauschigen, weichen Wolldecke aufs Sofa kuschelt, um eine Folge nach der nächsten von seiner Lieblingsserie zu schauen. Doch relativ schnell wird es dann Alltag, dieses kalte Wetter. Monate, in denen man sich tagtäglich aufs Neue aus dem Bett quälen muss, weil es so schön warm und gemütlich ist und man genau weiß, dass draußen Schnee und Eiseskälte auf einen warten. Dicke Winterjacke, Schal, Mütze und im besten Fall noch Handschuhe. Schneidender Wind, durch den man das Gefühl bekommt, man spüre sein Gesicht und alle restlichen Körperteile, die ihm gnadenlos ausgeliefert sind, nicht mehr.

Und dann, oftmals ganz plötzlich und unerwartet, im besten Fall schon im Februar, die aufregende Nachricht der Radiomoderatoren: „Der erste warme Tag im Jahr. 15° und Sonne! Wer hockt denn da noch zuhause rum? Ihr müsst rausgehen und das tolle Wetter genießen!“

Auf einmal hören sich 15° nach unfassbar viel an und zum ersten Mal nach langer Zeit greift man an den Pullis vorbei zu den T-Shirts, die man vor Monaten ganz hinten im Schrank verstaut hat und die schon fast in Vergessenheit geraten sind. Darüber eine von den dünnen, bunten Windjacken und dazu die Sonnenbrille, von der man schon gar nicht mehr weiß, wann man sie das letzte Mal getragen hat.

Im Park dann ist es richtig schön. Schön, aber voll. Alle sind dort und man selbst ist mittendrin. Am Ufer der Spree werden die Schwäne gefüttert, die Spielplätze sind überfüllt von spielenden Kindern, jede Tischtennisplatte ist besetzt und die Wiesen und Bänke sind voller Menschen, die picknicken, laut Musik hören, sich unterhalten, lachen und Frisbee spielen. Ein geräuschvoller, bunter, fröhlicher Haufen und darüber diese angenehme, lockere, leichte Atmosphäre, die jeder spürt und die einem das Gefühl von Verbundenheit gibt.

Doch leider hält es meistens nicht lange an, dieses wohlige, frühsommerliche Gefühl. Denn schon auf dem Heimweg kann man nicht mehr aufhören zu niesen. Ohne dabei zu wissen, ob es an den zu dünnen Klamotten liegt, an dem kalten Steinboden, auf dem man saß, an den Pollen oder dann doch an dem Eis.

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