Ruhe bitte!

Warum unsere Welt lernen muss, mehr introvertiert zu sein

von Anna-Lena Krumbach

Auf Social Media präsentiert sich die junge Generation gerne als unabhängig und selbstständig, doch eigentlich wird uns schon als Kind von der Gesellschaft indirekt beigebracht, dass wir alleine nichts mehr schaffen können. Durch Gruppentische, Gruppenarbeit und den ständigen Test des Mannschaftsgeistes im Sportunterricht wird schnell klar, dass der ideale Schüler, Student oder Kollege extrovertiert ist und es liebt, mit anderen zusammenzuarbeiten.

Stellen wir uns doch mal eine Welt vor, in der Introvertiertheit nicht als eine charakterliche Schwäche angesehen wird, sondern als eine positive Eigenschaft. Eine Welt, in der wir im Bewerbungsgespräch stolz darauf sein können, dass wir gerne Zeit alleine verbringen und die meiste Kreativität in ruhigen Momenten finden. Vorbei die Zeit, in der ein ganzer Absatz im Motivationsschreiben der Liebe zur Teamarbeit gewidmet wird und jeder zur Begeisterung verpflichtet ist, weil er in einem Büro arbeiten darf, indem es keine Wände und Türen mehr gibt. Montags kann dann auch mal zugegeben werden, dass der Freitagabend auf der Couch und nicht in einer Bar verbracht wurde.

Alleinsein ist eine Fähigkeit

Corona hat gezeigt, dass viele nicht mehr wissen, was sie alleine machen sollen. Die wenigsten haben gelernt, sich mit den eigenen Gedanken auseinanderzusetzen. Denn uns wird immer wieder erzählt, dass wir unsere Ziele nur gemeinsam erreichen können.

Alleine sein wird mit Einsamkeit verwechselt. Die Fähigkeit, Kraft aus sich selbst zu ziehen und nicht von anderen Menschen, wird nicht wertgeschätzt. Dabei identifiziert sich eine von drei Personen als introvertiert. Was nicht bedeutet, dass diese Person schüchtern ist, denn Schüchternheit ist eine Angst in sozialen Situationen. Und es ist keine Frage, dass sozialer Kontakt wichtig ist. Aber wieso muss aus jeder kleinen Aufgabe immer ein Teamprojekt werden?

Ideen gehen verloren

Lassen wir doch die Introvertierten einfach mal introvertiert sein und stellen die Qualität von Teamfähigkeit wieder zurück auf eine Stufe mit Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. In unserem Bildungssystem, sowie in unserer Arbeitswelt, fehlen oft Möglichkeiten für introvertierte Menschen, sich zu entfalten. Denn so, wie die Extrovertierten Kreativität in Gemeinschaft finden, kommen andere auf die besten Gedanken, wenn sie einfach mal einen Moment für sich haben. Nicht immer hat der, der am lautesten schreit, die besten Einfälle. Und nicht der, der am meisten redet, hat immer viel zu erzählen.

Wir sollten allen Menschen die Chance geben, gehört zu werden, oder unserer Gesellschaft entgehen eine Menge guter Ideen. Zudem kann es auch nicht schaden, vor dem Sprechen nachzudenken. Denn es hat einen Grund, warum Psychologen glauben, dass Introvertierte die besseren Leader sind. Denn sie treffen Entscheidungen nicht überstürzt und handeln oft im Interesse des Allgemeinwohls. Introvertierte sind meist gute Beobachter und Zuhörer. Und zuhören könnte uns allen doch mal ganz guttun.

Bild: Anna-Lena Krumbach

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