Während meiner Studienzeit und als zwei Wörter alles eskalieren ließen

Die Autorin und Studentin des Studiengangs Kreatives Schreiben und Texten Claudia A. Schröttner präsentiert ihren Kurzprosatext „Während meiner Studienzeit und als zwei Wörter alles eskalieren ließen“

Während meiner Studienzeit wohnte ich in einem Altbau mitten in Neukölln. Ich mietete mir zusammen mit meinen Mitbewohnern Jens und Max eine Dachgeschosswohnung, in der es im Winter durch die Wände zog und im Sommer brütend heiß war. Ich lebte lieber mit Jungs als mit Mädchen zusammen, so dachte ich damals. Jungs wären unkomplizierter, so dachte ich damals. Und das wäre vielleicht auch so gewesen, wäre das Eine nicht gekommen. 

Die ersten drei Monate waren noch sehr harmonisch, meine Mitbewohner und ich achteten auf Sauberkeit, waren aber nicht penibel. Doch als ich von meinem Heimaturlaub aus Brandenburg zurückkam, änderte sich dies rasant – schon nach der ersten Nacht. Ich war sehr müde gewesen und hatte es nicht mehr geschafft auszupacken – mein Koffer lag noch verschlossen im Flur und auch mein neuer Teddy, den mir ein hübscher Mann in Flirtstimmung beim Schützenfest geschossen hatte, verbrachte seine erste Berliner Nacht auf dem Flur. Ich wurde davon geweckt, dass es polterte, mein Mitbewohner Jens heftig fluchte und bald danach an meine Zimmertür hämmerte. 

„Jana“, rief er, „räum deinen Scheiß gefälligst in dein Zimmer!“ 

Das war der Anfang vom Ende der WG-Harmonie. 

Jens schien sich an mir rächen zu wollen, so dachte ich damals zumindest. Ständig aß er meine Lebensmittel, ohne neue nachzukaufen. Er hinterließ das Badezimmer dreckig und es kam des Öfteren vor, dass ich seine Intimbehaarung wegkehren durfte. 

Auch Max schien dies gehörig auf den Geist zu gehen, denn er fing eines Tages an, nicht nur Jens, sondern auch mich grundlos anzufahren. Ständig hämmerte er auf seinem Schlagzeug herum, sodass ich Schwierigkeiten hatte, mich auf das Lernen für Prüfungen zu konzentrieren und die Nachbarn anfingen, sich zu beschweren. 

Eines Tages rastete ich aus. Ich wusste kurz danach nicht mehr genau, warum dies in solch einem Ausmaß geschehen war. Es war, als wäre etwas in mich gefahren, sodass ich nur noch rot sah. Ich war in diesem einen Moment so wütend, da ich keinen sauberen Teller für mein Frühstück hatte und das an einem Morgen, an dem ich sowieso schon spät dran war. 

In der Spüle türmte sich Geschirr mit angetrockneten Speiseresten. Ich schrie, was das Zeug hielt und rief damit Jens und Max herbei. Sie kamen angerannt und schauten mich an, als hätte ich den Verstand verloren. Beide meinten, ich solle mich doch nicht so aufregen, ich würde überreagieren. 

„Typisch Frau“, meinte Jens dann auch noch kopfschüttelnd zu mir. Mit diesen zwei Wörtern lief alles über, was seit Monaten in mir rumorte; die ständige Unordentlichkeit und Rücksichtslosigkeit, die schlaflosen Nächte, die schlechten Noten im Studium und die Erkenntnis, dass ich zu meinem letzten Prüfungsversuch zu spät kommen würde. Und das alles, weil ich keinen sauberen Teller für mein Frühstück hatte. 

„Typisch Frau”, hallte die unnötige patriarchalische Beleidigung in mir nach. Zwei Wörter, die alles eskalieren ließen. 

Als ich dann auch noch meinte, in Jens Schmunzeln etwas Höhnisches und Spöttisches zu bemerken, begann mein ganzer Körper zu beben. Da nahm ich, ohne zu zögern, ein schmutziges Fleischmesser aus der Spüle und warf es mitten in Jens Gesicht. Es drang genau durch seinen großen Nasenzinken. 

„Man soll nicht lügen“, sagte ich, während Jens Körper, aus der Nase heraus Blut röchelnd, auf die Holzdielen unserer wunderschönen Altbauwohnung mitten in Neukölln knallte. „Das ist nicht typisch Frau“, ergänzte ich, als Max sich verzweifelt über den sterbenden Jens beugte. Und das stimmte auch, dieses Verhalten hatte nichts mit meinem Geschlecht zu tun und man muss auch dazu sagen, dies war nicht ich gewesen, nicht Jana. Zumindest nicht ich allein. Es war in mir gewesen. Ich kannte Es damals noch nicht persönlich. 

Ironischerweise nahm ich in mein neues Zuhause, eine Berliner Gefängniszelle, meinen Teddybären mit. Den, der mir ein Flirt beim Schützenfest geschossen hatte. Nach ein paar Nächten stellte Es sich mir vor. 

Das dunkle, körperlose Geisterhafte, das zuerst vom Teddybären, dann von Jens, gefolgt von Max und schließlich von mir Besitz ergriffen hatte. 

„Du hast das meiste Potential bewiesen“, sagte Es zu mir, als wäre es stolz. 

Bald wurde es dem Etwas langweilig in der Berliner Gefängniszelle, wer konnte es ihm verdenken? Da Es mich nervte und ich dieses Etwas ein wenig fürchtete, verschickte ich Es im Stoffkörper des Teddys per Paket als Spende für ein Schützenfest irgendwo in Brandenburg. 

Da ich so viele Nächte mit dem geisterhaften Wesen in der Gefängniszelle verbracht hatte, weiß ich, das Etwas hatte eine gute Zeit in Neukölln und will vermutlich dorthin zurück. Ich erahne, was passieren wird, wenn ein Berliner Dialekt auf dem Schützenfest in Brandenburg erklingt, wo das Etwas, im Stoff des Teddybären gehüllt, auf neue Chancen wartet. 

Ich sinniere oft über die Wörter jenes Etwas, „du hast das meiste Potential bewiesen” und denke an die Zeit zurück, als ich studierte und in einem Altbau mitten in Neukölln wohnte, in einer Dachgeschosswohnung zusammen mit zwei Mitbewohnern, dort, wo es im Winter durch die Wände zog und im Sommer brütend heiß war.

Autorin: Claudia A. Schröttner studiert Kreatives Schreiben und Texten in Berlin an der SOPA (SRH Berlin School of Popular Arts)

Foto: Autor:in wirestock, Freepik

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