ZIMMER 51 – TEIL 1

Die Autorin und Studentin des Studiengangs Kreatives Schreiben und Texten Larissa A. Jank präsentiert den ersten Teil ihres Kurzprosatextes „ZIMMER 51

„Peter?!“

Nach Atem ringend suchte ich verzweifelt den Arm des neben mir Sitzenden. Noch vor wenigen Sekunden waren wir auf dem Bett in seinem Zimmer des Studentenwohnheims gesessen, als plötzlich wie aus dem Nichts alles in totale Finsternis gehüllt war. Ich war in meinem persönlichen Albtraum gefangen. Ängstlich klammerte ich mich an den Arm meines besten Freundes, um nicht einen vollkommenen Nervenzusammenbruch zu bekommen.

„Mein Gott, Sophie! Wieso krallst du dich so in meinen Arm?“, meinte Peter mit zischender Stimme und stieß mich leicht von sich.

Er stand vom Bett auf und ich klammerte mich verzweifelt an das Laken des Bettes. Meine Augen wollten sich nicht an die plötzliche Schwärze gewöhnen, ich war noch immer so blind wie ein Maulwurf. Mein Herz schlug in einer schmerzhaften Stärke gegen meinen Brustkorb und ich hatte das Gefühl, nicht genügend Luft in meinen Lungen zu haben. Ein paar Meter von mir entfernt hörte ich Peter in seiner Kommode herumkramen – er war also immer noch in meiner Nähe. Alleine würde ich mit absoluter Sicherheit durchdrehen.
Als mich kurz darauf ein greller Lichtstrahl blendete, kniff ich meine Augen schmerzvoll zusammen.

„Alles okay bei dir?“, hörte ich Peters tiefe Stimme und öffnete meine Lider, als das Licht aus meinem Gesicht gelenkt wurde.

Peter stand mit einer Taschenlampe vor mir und blickte nervös im Raum herum.

„Ja, ja. Passt schon alles.“

„Deine Nagelabdrücke in meinem Arm sagen da aber etwas anderes“, grinste er mich frech an und fuhr über seinen linken Oberarm, auf dem leichte halbmondförmige Abdrücke zu sehen waren.

„Entschuldige“, sagte ich leise – die Dunkelheit um mich herum raubte mir die Stimme.

„Ich versuche den Hausmeister zu finden, damit er sich um den Strom kümmert. Es ist 2 Uhr nachts – die ganzen Streber schlafen bestimmt schon längst und haben den Ausfall sicher noch nicht bemerkt.“

Peter griff ein weiteres Mal in seine Kommode und reichte mir eine zweite Taschenlampe, ehe er in Richtung der Tür ging.

„Warte! Ich komm mit!“, rief ich, sprang vom Bett auf und lief ihm nach.

Auf keinen Fall wollte ich allein in diesem Zimmer mit der kümmerlichen Lichtquelle der Taschenlampe hocken bleiben – gemeinsam mit einer meiner größten Ängste und meinen unbändigen Gedanken. Zusammen machten wir uns auf den Weg durch den düsteren Flur, immer weiter in die Dunkelheit hinein. Wir waren erst vor einigen Wochen in dieses Gebäude gezogen und kannten uns noch so gut wie gar nicht in dem Labyrinth aus Gängen, Türen und Sackgassen aus. In dieser pechschwarzen Finsternis hatte ich ohnehin das Gefühl, als würden sich die Flure wie von Geisterhand um uns herum bewegen. Mit diesem festverankerten Gedanken in meinem Kopf setzte ich mit wackeligen Beinen und dem Gefühl beobachtete zu werden einen Schritt vor den anderen.

„Wohin gehen wir?“, wisperte ich nach einer Weile, als wir noch immer an keiner einzigen Zimmertür vorbeigekommen waren.

„Wir versuchen entweder das Büro des Hausmeisters oder den Verteilerkasten zu finden.“

Peter ging zielstrebig mit der Taschenlampe in der Hand voran, ich hielt so gut wie möglich mit ihm Schritt. Alle paar Sekunden schwenkte ich ängstlich den schein meiner Taschenlampe nach hinten oder auf die bedrohlich wirkenden Gemälde an den Wänden. Es war totenstill um uns herum, was die Dunkelheit noch unheimlicher machte, als sie es ohnehin schon war. Als wir nach weiteren Minuten noch immer erfolglos auf der Suche nach dem Büro oder einer Zimmertür durch die unzähligen Flure wanderten, begann mein Atem immer schneller und immer panischer meinen Mund zu verlassen und ich hatte das Gefühl, zwischen all den beengenden Wänden zu ersticken.

„Hast du Angst?“, durchbrach Peters Stimme die Dunkelheit und das Schweigen.

„Das wäre eine deutliche Untertreibung. Ich hasse die Dunkelheit“, gab ich mit bebender Stimme zu, woraufhin ich plötzlich eine Hand auf meiner Schulter spürte.

„Keine Panik, Soph. Ich beschütze dich schon.“

„Danke. Wie einfühlsam von dir“, lachte ich nervös, war allerdings froh, seine schützende Hand zu spüren, die mein Herz auch ein wenig zur Ruhe kommen ließ.
„Du hast anscheinend vor gar nichts Angst, oder?“, bemerkte ich und musterte Peters konzentrierten Gesichtsausdruck, während ich meine tauben Arme vor meiner Brust verschränkte.

Er wusste ganz genau was er wollte, hatte sein Ziel vor Augen und war nicht dazu bereit, davon abzuweichen. Das bewunderte ich so an ihm. Ich hingegen kam mir neben ihm wie ein verlorenes Kaninchen vor, das sich vor seinem eigenen Schatten fürchtete.

„Verdammt – ich glaube, wir laufen im Kreis!“, fluchte mein bester Freund plötzlich – meine gestellte Frage dabei noch immer ignorierend.

Peter blieb stehen und zog mich dabei ebenfalls zurück. Als wir nebeneinander standen, nahm er seine Hand von meiner Schulter weg, ein Hauch von eiskalter Luft war das Einzige, was er darauf zurückließ. Verwirrt drehte sich Peter neben mir in alle Richtungen und auch ich versuchte meine Orientierung wiederzufinden. Die Gänge sahen im spärlichen Schein unserer Taschenlampen jedoch alle identisch aus, ich konnte keinen Unterschied ausmachen. Erneut kam die erdrückende Schwere auf meiner Brust zurück, als würde ich von unzähligen Augenpaaren beobachtet werden und ich konnte den eiskalten Schweiß an meinem Rücken förmlich spüren. 

„Lass uns zurückgehen. Vielleicht kommen wir endlich bei einem Zimmer vorbei, in dem sich die Leute besser auskennen und den Weg zum Sicherungskasten schneller finden“, flüsterte ich und begann mich nun schon im Sekundentakt in alle Richtungen panisch umzusehen.

Peter willigte mit einem leichten Kopfnicken ein und schlug mit mir den von uns bereits abgegangenen Weg wieder ein – oder zumindest vermutete ich das. Diesmal ließ er seine Hand locker neben sich herunterhängen und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als sie wieder auf meiner Schulter spüren zu können. Während unsere Schritte von dem grässlich roten Teppichboden zu unseren Füßen verschluckt wurden, hatte ich das Gefühl, dass man mein wild pochendes Herz meilenweit hören konnte. Als ich den Lichtkegel meiner Taschenlampe nach links richtete und bemerkte, wie mich Peter von der Seite schief anzulächeln begann, wusste ich mit Sicherheit, dass er das wilde Pochen gegen meine Rippen auch hören konnte.

„Du brauchst wirklich keine Angst haben, Sophie – es ist nur ein normaler Stromausfall. Und außerdem bin ich ja da, um dich zu beschützen.“

„Ich habe nur dieses unbehagliche Gefühl, dass wir beobachtet werden“, gab ich ehrlich zu, wobei mir dieser Gedanke einen eiskalten Schauer über den Rücken jagte.

Als sich jeder meiner Schritte bereits immer schwerer anzufühlen begann, kamen wir endlich vor einem Zimmer mit der Nummer 51 vorbei und Peter klopfte leise an der Tür.

„Meinst du, dass sie vielleicht schon schlafen?“, fragte er und hämmerte nach einigen Sekunden etwas lauter gegen die Türe.

„Keine Ahnung. Lass uns bitte weitergehen Peter, da wird uns niemand aufmachen.“

Ich merkte, wie sich Peters Körper nicht vom Fleck zu entfernen schien. Das erdrückende Gefühl der Ohnmacht begann sich immer weiter in mir auszubreiten, als ich für einige Momente nichts außer mein eigenes Herzschlagen und meinen rasselnden Atem hören konnte. Ich versuchte mich auf Peters Hand zu konzentrieren, welche im Schein unserer Taschenlampen die Klinke der Türe umfasste und diese zaghaft nach unten drückte.

„Soph, die Tür ist offen“, raunte er mir zu und ich konnte förmlich beobachten, wie sein Gesichtsausdruck von Sekunde zu Sekunde immer besorgter wurde.

* * * * *

Gespannt wie es weitergeht? Hier gehts zum zweiten Teil der Kurzgeschichte!

Autorin: Larissa A. Jank studiert Kreatives Schreiben und Texten in Berlin an der SOPA (Berlin School of Popular Arts)

Titelbild from Larissa A. Jank (@neptun_vii)

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